Montag, 25. Juni 2012

29.03.2012 – 13.05.2012: Zum Abschluss – vier Länder in drei Wochen


29.03.2012 – Argentinien - am Río Paraná nordwärts

Wir waren wieder zurück in Buenos Aires, standen am Aeropuerto und warteten auf unsere Tochter. Kathi hatte es sich nicht nehmen lassen, uns noch einmal in Südamerika zu besuchen, um die letzten Reiseerlebnisse mit uns zu teilen. Sie hat den Reisevirus von uns geerbt und ist von fremden Ländern, alten Kulturen und atemberaubenden Landschaften genauso fasziniert wie wir. Fast wäre es schief gegangen, denn noch am Vortag war nicht sicher, ob Kathis Flug von dem Warnstreik betroffen sein wird, der den Frankfurter Flughafen einen ganzen Tag lahmgelegt hat. Aber dann kam die erlösende SMS, der Flug wird planmäßig abgefertigt.

Mit „deutscher Pünktlichkeit“ landete die Lufthansa-Maschine in Buenos Aires und eine halbe Stunde später saßen wir schon im Wohnmobil und kämpften uns durch den morgendlichen Berufsverkehr nordwärts. Mehr als drei gemeinsame Wochen lagen vor uns, also genügend Zeit, um im Norden Argentiniens die Provinz Misiones und die Iguazu-Wasserfälle zu erreichen - aber nicht auf direktem Weg. Auf der Hinfahrt wollten wir einen kleinen Abstecher nach Paraguay machen und die Rückfahrt sollte uns über Südbrasilien und Uruguay führen. Wir hatten eine anspruchsvolle Strecke gewählt und uns einem strengen Zeitplan unterworfen, ganz anders, als wie wir es in den letzten Wochen gewohnt waren.

Bei Zárate überquerten wir den Río Paraná, der hier mit dem Río Uruguay zusammenfließt und den riesigen Río de la Plata bildet. Ab hier fuhren wir durch eine wunderschöne Flusslandschaft mit vielen Inseln, Nebenarmen und Kanälen. Aus der Nähe betrachtet relativierte sich aber das Bild. Der vom Fluss angeschwemmte Schlamm mag gut für die Landwirtschaft sein, dem Tourismus in dieser Gegend ist er eher abträglich. Das braune Wasser lud nicht unbedingt zum Baden oder zu Wassersportaktivitäten ein. Dazu kam, dass hier die wahrscheinlich aggressivsten Moskitos ganz Südamerikas lebten. Es war einfach unglaublich, wie sie sich auf jedes Stückchen unbedeckte Haut gestürzt haben, sobald wir das schützende Wohnmobil verließen. Damit aber nicht genug, auch Jeansstoff oder dicke Pullover wurden von ihrem langen Stachel durchbohrt und von Moskitospray ließen sie sich schon gar nicht einschüchtern.

In Victoria schliefen wir die erste Nacht und am nächsten Morgen fuhren wir weiter durch die Provinz Entre Rios, dem argentinischen Zweistromland, zur Provinzhauptstadt Paraná. Hier querten wir wieder den Río Paraná, diesmal durch den, von deutschen Firmen gebauten Tunnel „Uranga-Sylvestre“. In Santa Fe und in Paraná, den beiden Provinzhauptstädten, die durch den Tunnel verbunden wurden, ist man heute noch wütend auf die Zentralregierung in Buenos Aires, die den Bau einer Brücke an dieser Stelle untersagte. Nach dem Willen der Regierung hätte die neue Brücke viel weiter flussabwärts, also näher an Buenos Aires gebaut werden sollen. Dies hätte für die beiden Städte keinen Nutzen gehabt. So umging man das Verbot mit dem Bau des viel kostenintensiveren Tunnels.

In Santa Fe angekommen besichtigten wir das Stadtzentrum und die alte Kathedrale. Petra und Kathi waren gerade noch mal auf ein Eis in die Stadt geschlendert, als neben dem Wohnmobil ein Peugeot hielt. „Haben Sie Fragen, kann ich Ihnen helfen?“ war das freundliche Angebot von Raul, der uns dann auch gleich für den nächsten Tag zum Asado eingeladen hat. Leider hatten wir dafür nicht genügend Zeit, aber das Angebot, die kommende Nacht mit dem Wohnmobil bei seinem Haus zu stehen, haben wir gerne angenommen.

Wie ein Hochsicherheitstrakt wurde die Clubanlage, in der Raul mit seiner Familie wohnte, bewacht. Der Sicherheitsdienst wusste schon Bescheid, als wir mit dem Wohnmobil am Tor ankamen, und eskortierte uns zu seinem Grundstück. Immer mehr wohlhabende Argentinier leben mit allem erdenklichen Komfort in solchen Clubs. Golf- und Tennisplätze, Schwimmbäder, Restaurants – an nichts fehlt es, und was vielleicht das Wichtigste ist, alles ist abgeschirmt und man ist unter seinesgleichen. Meine Frage, ob es denn in Santa Fe wirklich so gefährlich sei, beantwortete er mit einem klaren „Ja“. Als Chirurg hat er fast täglich Patienten mit Stich- oder Schussverletzungen zu versorgen. Besonders in den Armenvierteln der Stadt grassiert die Gewalt.

Nach einer sehr angenehmen Nacht war schon der Frühstückstisch auf der Terrasse für uns gedeckt. Wir kannten uns erst seit einigen Stunden, wurden aber aufgenommen wie „alte“ Freunde. Raul kam am Vormittag extra noch mal aus dem Krankenhaus zurück, um noch etwas Zeit mit uns zu verbringen. Mit einigem Stolz zeigte er uns sein neues Haus, an dem er seit einigen Jahren baut. Das Alte war für seine Familie zu klein geworden, es wird in Zukunft als Gästehaus genutzt werden. Die wohlhabenden Argentinier leben wirklich wie im Paradies, ganz anders die Menschen in den Elendssiedlungen, an denen wir auf unserer Rückfahrt durch die Stadt vorbeikamen. Hütten aus Wellblech, Pappe und Abdeckplanen; Unrat, Schmutz und Müll, dazwischen die Menschen ohne Perspektive - Männer, Frauen und viel zu viele Kinder. Was für ein gewaltiges Konfliktpotenzial schlummert hier. Es machte uns betroffen, diese Armut zu sehen und wir stellten uns die Frage, ob diese Gegensätze jemals entschärft werden können. Im Moment sah es nicht so aus, eher das Gegenteil war der Fall
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02.04.2012 – Paraguay - viel besser als sein Ruf

Von Paraguay hatten wir viel Negatives gelesen und gehört. In Chile wurden wir sogar eindringlich davor gewarnt nach Paraguay zu fahren, aber solche „gut gemeinten“ Ratschläge kannten wir ja schon zur Genüge. Unser Entschluss, Paraguay auf unserer letzten Rundreise zu besuchen haben wir nach einem Gespräch mit Irma und Norbert gefasst, die wir an der Atlantikküste in El Cóndor getroffen hatten. Die zwei Berliner lebten seit drei Jahren in Asuncion und waren so begeistert von ihrer neuen Wahlheimat, dass der Funke übersprang. Wir waren neugierig, wie die Menschen in diesem armen und bis vor wenigen Jahren diktatorisch regierten Land so leben. Einen traurigen Rekord hält Paraguay, es ist eines der korruptesten Länder der Welt. Ob wir an der Grenze Schmiergeld bezahlen müssen oder Probleme mit Basko bekommen? Wir waren gespannt. Was wir dann aber wirklich an der Grenze erlebten, hätten wir niemals erwartet. Die Personeneinreise war völlig unkompliziert, ja sogar etwas oberflächlich. Petra blieb erst einmal mit Basko im Auto und ich habe mit Kathi die Einreise geregelt. Niemand störte es, dass wir zwei mit drei Pässen einreisen wollten. Dass Kathi dann zwei Einreisestempel in ihrem Pass hatte und ich dafür keinen sorgte für viel Spaß bei den Grenzbeamten, und wurde unkonventionell korrigiert.

Als Nächstes mussten wir zum Zoll, um das Wohnmobil zu importieren. Ein älterer Beamter in Zivil wartete schon auf uns. Er war sehr locker und lustig, füllte die Dokumente gleich selbst aus, aber nahm es damit auch nicht so genau. Nach meinem Hinweis auf den falsch geschriebenen Namen korrigierte er es fast bis zur Unleserlichkeit. Dabei hatte er immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, und dann, wir trauten unseren Augen und Ohren kaum, stand er auf, hob den rechten Arm und verabschiedete uns mit „Heil Hitler“. An unseren erschrockenen Mienen erkannte er sofort, dass das wohl kein Spaß mehr war. Wir versuchten ihm zu erklären, dass dieser Gruß in Deutschland geächtet ist und welch schlechte Zeit sich für uns Deutsche damit verbindet. Er schien es zu verstehen und erzählte uns dann, dass auch Paraguay unter militärischem Größenwahn zu leiden hatte. Im Jahre 1865 erklärte der Diktator Francisco Solano López den Nachbarstaaten Argentinien, Brasilien und Uruguay gleichzeitig den Krieg, der zum blutigsten und grausamsten in der lateinamerikanischen Geschichte wurde. Die Gegner waren Paraguay zehnfach überlegen und am Ende dieses Wahnsinns hatte Paraguay die Hälfte seiner Bevölkerung verloren.

Nur wenige Kilometer nach der Grenze überquerten wir auf einer mehrspurigen Brücke den Río Paraguay und rollten in die recht modern anmutende Hauptstadt Asuncion. Die Luft flimmerte vor unseren Augen, es war gnadenlos heiß und stickig. Im Hochsommer muss es hier unerträglich sein, war unser erster Gedanke. Auf dem kleinen Campingplatz im botanischen Garten, einer wunderschönen Oase in der hektischen Stadt, standen wir dann unter Schatten spendenden Bäumen und fühlten uns ebenso wohl wie die vielen Hauptstädter, die hier in Familie ihren Sonntag verbrachten.

Unsere Stadtbesichtigung am nächsten Tag begann mit einer typisch südamerikanischen Busfahrt. Für uns nichts Neues, aber Kathi schüttelte immer wieder den Kopf und fragte sich, wann die Klapperkiste wohl auseinanderbrechen wird. Die Stadt selbst hatte nicht sehr viel zu bieten. Asuncion ist laut, hektisch, heiß und staubig. Es wird viel gebaut, und es ist vieles verfallen. Die noch vorhandenen Gebäude aus der Kolonialzeit prägen den Charakter der Stadt, viele sind sanierungsbedürftig. Im Zentrum sahen wir dann noch eine Besonderheit, die es so wohl nur in Asuncion gibt. Keine 100 Meter vom Präsidentenpalast und dem neuen Parlamentsgebäude entfernt standen die jämmerlichen Hütten der Ärmsten. Etwas Ähnliches hatten wir in Managua gesehen, aber hier war es noch drastischer. „Zumindest zeugt es von einer toleranten Regierung, die so immer die dramatischsten Probleme ihres Landes vor Augen hat“ meinte Kathi. In Paraguay gibt es keine Mittelschicht. Die wenigen Superreichen können sich fast alles leisten. Sie fahren die modernsten Luxusautos und leben in abgeschlossenen grünen Stadtvierteln. Die übrige Bevölkerung lebt in recht einfachen Verhältnissen, ein Drittel sogar unter der statistischen Armutsgrenze. Trotz allem wirkten die Menschen aber freundlich, aufgeschlossen und in gewisser Weise sogar zufrieden. Mit diesen Eindrücken rumpelten wir zum botanischen Garten zurück.

Unweit von Asuncion entfernt liegt der schöne Lago Ypacaraí mit dem beschaulichen Künstlerort Areguá, der vor allem für seine Keramik- und Töpferwaren bekannt ist, und dem Seebad San Bernardino. Hier sind die Schönen und Reichen Paraguays unter sich. Gepflegte Sport- und Yachtclubs, Ferienanlagen und noble Hotels, Restaurants und Bars, alles ist vorhanden - aber fast alles war schon geschlossen. Wie auch in Argentinien und Chile sind die Ferienorte außerhalb der relativ kurzen Hochsaison absolut verwaist. Umso besser für uns. Direkt am See, neben dem großen Yachtclub, hatten wir wieder einmal einen Traumplatz gefunden. Den Nachmittag verbrachten wir unter der Schatten spendenden Markise. Faulenzen, lesen und die Seele baumeln lassen war angesagt und Basko war auch in seinem Element. Er kam aus dem Wasser kaum noch raus und eine kleine Hundefreundin hatte er auch schon gefunden.

Am nächsten Tag fuhren wir über gut ausgebaute Straßen südwärts. Wir waren immer wieder erstaunt darüber, wie sauber hier alles war und wie ordentlich die meisten Häuser auf dem Land aussahen. Paraguay ist, nach Bolivien, das zweitärmste Land Südamerikas, aber im Gegensatz zu Bolivien oder auch Peru wirkte hier alles viel ordentlicher. Die Häuser waren verputzt und mit der subtropischen Vegetation sahen sie richtig schön aus.

Bis zu den Jesuiten-Missionen in Jesus und Trinidad, unserem nächsten Ziel, war es nicht mehr weit. 1588 kamen die ersten Jesuiten nach Paraguay. Erst als Wandermissionare unterwegs gründeten sie schon bald die ersten Siedlungen, Reduktionen genannt. Bis zu 5000 Guaraní-Indios lebten jeweils mit einigen Missionaren zusammen, die ihnen neben modernen Handwerkstechniken auch Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachten. Es wurde Landwirtschaft und Viehhaltung betrieben. Die Reduktionen waren dabei so erfolgreich, dass sie zu einer starken wirtschaftlichen und politischen Macht wurden - zu stark für die spanischen Eroberer und Kolonialisten. Dazu kam, dass die Indios in den Redaktionen nicht als Sklaven oder Leibeigene lebten, sondern als freie gleichberechtigte Menschen. Weltliche und kirchliche Neider entfachten ein wahres Kesseltreiben. Nachdem Gerüchte wie „Ausbeutung der Guaraní; Zwangsarbeit; geheimer Goldbergbau; die Vorbereitung einer Revolution gegen die spanische Krone und die Absicht, einen eigenen Staat zu gründen“ nach Madrid getragen wurden, verfügte der spanische König Karl der III. im Jahre 1767 die Ausweisung der Jesuiten aus Südamerika. Die 500 Mitglieder der Sociedad Jesú wurden in Ketten nach Europa gebracht und verurteilt. In der Folgezeit verfielen die Reduktionen zusehends und 1817 wurden sie auf Anweisung des paraguayischen Diktators Francia zerstört und dem Urwald überlassen. An den bis heute freigelegten Ruinen kann man sehr gut die Größe und die Perfektion der ehemaligen Gebäude erkennen. Nichts war als Provisorium gebaut. Das schönste Einzelgebäude war immer die mit prunkvollen Steinmetzarbeiten verzierte Kirche. Die indianischen Künstler entwickelten hier einen eigenen Stil, das sogenannte Guaraní-Barock, indem sie die vorgegebenen Formen mit indianischen Motiven vermischten. Leider werden die Ruinen von Jesus und Trinidad, Letztere gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe, kaum besucht. Der nach unserer Meinung ungerechtfertigt schlechte Ruf von Paraguay hat eben auch negative Auswirkungen auf den Tourismus.



06.04.2012 – Wieder in Argentinien - Misiones und die Iguazu-Wasserfälle

Wir setzten unsere Tour auf den Spuren der Jesuiten in der argentinischen Provinz Misiones fort. Auch hier standen mehrere Jesuiten Reduktionen, die aber ebenso wie die in Paraguay im Jahre 1817 zerstört wurden. Die Ruinen von Loreto sind vom Urwald völlig überwuchert. Nur wenige Mauerreste waren zwischen dem alles überdeckenden Regenwald zu sehen. Bisher fehlte das nötige Geld, um diese Kulturstätte freizulegen. Anders in San Ignacio Miní, der besterhaltensten Jesuiten-Reduktion in Argentinien. Der grundsätzliche Aufbau mit Kirche und zentraler Plaza, Friedhof und Kloster, Unterrichtsräumen, Werkstätten, Küchen, Gefängnis und den weitläufigen Wohnquartieren war recht gut zu erkennen. Auch hier beeindruckten uns vor allem die Ruine der Kirche und ihr wieder aufgebautes Portal aus rotem Sandstein.

Es war bisher schon hochinteressant, aber die Hauptattraktion in Misiones hatten wir noch vor uns - die Iguazu-Wasserfälle. Glaubt man der Legende, dann soll die amerikanische Präsidentengattin Eleanor Roosevelt beim Anblick des atemberaubenden Naturschauspiels „Poor Niagara“ (armer Niagara) ausgerufen haben, so begeistert war sie. Wir standen also am nächsten Morgen mit hohen Erwartungen, pünktlich zur Öffnungszeit des Nationalparks, am Tor und glaubten die Ersten zu sein, um die Wasserfälle in aller Ruhe genießen zu können - aber weit gefehlt. Vor dem Ticketschalter stand schon eine lange Schlange, da hatten andere wohl die gleiche Idee wie wir. Der Nationalpark ist aber sehr weitläufig und die Wasserfälle sind recht gut erschlossen.

Die absolute Attraktion war für uns der halbkreisförmige Garganta del Diablo, der Teufelsschlund. Der ganz gemächlich dahinfließende Río Iguazu stürzte hier abrupt über eine Basaltplatte in einen tobenden, an drei Seiten geschlossenen Kessel. Das Wasser schien alles mitreißen zu wollen, was sich ihm in den Weg stellte. Der Boden dieses „Hexenkessels“ war nicht zu sehen, alles war mit brodelnder Gischt gefüllt, die vom Wind bis zur direkt darüber liegenden Aussichtsterrasse getragen wurde. Wir waren in kürzester Zeit pudelnass. Die argentinische Seite bietet wirklich Wasserfälle zum „anfassen“, die Dusche ist dabei inclusive.

Die Erschließung der Wasserfälle mit Laufstegen ist sehr gut gelöst. Neben dem Teufelsschlund konnten wir so auch die weiteren etwa 275 Einzelfälle, in denen sich der Río Iguazu bis zu 70 m tief in die Schlucht ergoss, von verschiedenen Seiten betrachten – aber der Garganta del Diablo war der eindrucksvollste. Auch wir versuchten die Iguazu-Wasserfälle mit den Niagarafalls zu vergleichen, aber es kam uns immer wieder der Vergleich von Äpfeln mit Birnen in den Sinn. Die Niagarafalls waren uns gewaltiger und größer in Erinnerung, während der Río Iguazu bei unserem Besuch relativ wenig Wasser führte. Der entscheidende Unterschied lag jedoch in der Umgebung der Wasserfälle. Während die Niagarafalls mit Hochhäusern, Hotels und Aussichtsstürmen verbaut waren erlebten wir im Iguazu-Nationalpark Natur pur. Eingebettet in den tropischen Regenwald, mit einer zurückhaltenden und angepassten, ja fast versteckten touristischen Infrastruktur haben die Iguazu-Wasserfälle einen einmaligen Eindruck bei uns hinterlassen. Neben den Wasserfällen selbst waren es vor allem die exotischen Pflanzen und die bunte Tierwelt, die zum Gesamteindruck beitrugen. Wir konnten exotische Vögel, bunte Schmetterlinge, Ameisenbären und viele Affen beobachten - fast wie im Zoo, aber es waren Tiere in Freiheit.



12.04.2012 – Südbrasilien - Küsten, Canyons und deutsche Tradition

Den ersten Eindruck eines neuen Landes erhält man immer schon bei der Grenzabfertigung, und da hinterließ Brasilien bei uns einen sehr guten Eindruck. Die jungen Grenz- und Zollbeamten waren sehr nett und hilfsbereit. Als wir aber dann das Schild mit den Einfuhrverboten sahen, rutschte uns das Herz in die Hose. Alles war verboten: Käse, Wurst, Eier, Gemüse, Obst - und Hunde. Wir hofften darauf, dass wir nicht kontrolliert werden, und sind recht flott auf der Lkw Spur durch die Kontrollstelle gefahren. Wir hatten Glück und wurden nicht angehalten.

In Foz del Iguaçu haben wir uns dann entschieden, auf die Wasserfälle von der brasilianischen Seite aus zu verzichten. Die Sicht war nicht besonders gut, es hätte uns einen ganzen Tag gekostet und vielmehr hätten wir auch nicht gesehen. Die argentinische Seite der Wasserfälle ist die attraktivere. Im nächsten größeren Ort hielten wir an einem Supermarkt und waren überrascht vom reichhaltigen Angebot, von der Sauberkeit und den leckeren Waren. Für mich war die frisch geräucherte Knackwurst der Renner, gut gewürzt und mager, fast wie zu Hause.

Die weitere Strecke durch den Bundesstaat Paraná strapazierte unsere Nerven, die Straße war in einem katastrophalen Zustand und wir kamen nur langsam voran. Dann, ab der Grenze zum Bundesstaat Santa Catarina, verbesserte sich der Straßenzustand schlagartig; aber auch die Landschaft veränderte sich zunehmend, je näher wir der Bergkette der Serra do Mar kamen. Zwischen den sanft geschwungenen bewaldeten Hügeln und den lieblichen Tälern fühlten wir uns fast wie in den heimatlichen Mittelgebirgen, nur die tropische Vegetation und die vielen Palmen passten nicht in dieses Bild. Die kleinen Städte, durch die wir fuhren, machten einen adretten und sauberen Eindruck. Selbst viele Industriebetriebe waren so ordentlich, dass man sie mit noblen Hotelanlagen verwechseln könnte. Spiegelnde Glasfassaden, gepflegte Grünflächen und akkurat beschnittene Hecken im Außenbereich. Wir waren angenehm überrascht, so etwas hatten wir in Südamerika nicht erwartet. „Das kommt alles von die Deitschen“ erklärte uns der Taxifahrer in Pomerode in einem gebrochenen Deutsch. „Die machen hier alles so scheen“ und dann ergänzte er noch voller Stolz, „ich bin auch ein Deitscher“. Tatsächlich ist Pomerode die deutscheste Stadt Brasiliens. Fast jeder im Ort hat deutsche Vorfahren und spricht Deutsch oder ein pommerisches Plattdeutsch mit einigen portugiesischen Wörtern. Die ersten deutschen Einwanderer kamen Ende des 19. Jahrhunderts nach Südbrasilien. Der brasilianische Kaiser hatte in Deutschland mit günstigen Siedlungsbedingungen dafür geworben. Die deutschen Wurzeln waren besonders im Landesinneren in allen Lebensbereichen unverkennbar. Architektur, Sprache, Brauchtum, Lebensart und Küche sind eine Mischung aus Brasilien und Deutschland. Und gutes Bier wurde hier auch gebraut. Direkt gegenüber von unserem Stellplatz am städtischen Theater warb die Brauerei-Gaststätte „Zum Schornstein“ mit hausgebrautem Bier, ein Angebot, das wir uns nicht entgehen ließen.

Auch in Blumenau, der bekanntesten deutschen Großstadt in Brasilien, ist das Bier ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Zumindest zum alljährlichen Oktoberfest, ganz in Münchener Tradition, fließt es in Strömen. Drei Wochen lang wird getanzt, gesungen und natürlich getrunken. Neben dem Karneval in Rio ist es das größte Volksfest in Brasilien. Aber auch in den restlichen Wochen des Jahres wird das deutsche Brauchtum geschickt vermarktet. Hinter dem Motto „Lernen Sie ein Stück tropisches Deutschland kennen“ stehen mehr als 30 traditionsreiche Volkstanzgruppen und Schützenvereine. Nach dem beschaulichen Pomerode war uns die Stadt aber irgendwie zu laut und zu hektisch. Wir waren froh, als wir wieder auf ländlichen Straßen in Richtung Atlantikküste unterwegs waren.

Im lebhaften Balneário Camboriú erging es uns dann ähnlich. Es ist das meistbesuchte Urlaubsziel im Bundesstaat Santa Catarina. Entlang der Strandstraße, der Avenida Atlântica, stehen Hochhäuser, Luxushotels und jede Menge Restaurants. Der Strand selbst wird als eine Kleinausgabe von Rios Copacabana bezeichnet. Es war recht nett, auf der über 6 km langen Strandstraße durch das Seebad zu fahren, jedoch Parkplätze waren Mangelware. Etwas südlicher, auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht, liegt der kleine Fischerort Porto Bello. Hier haben wir endlich wieder einen Platz nach unserem Gusto gefunden. Der Ort war ruhig, überschaubar und bodenständig. Natürlich gab es hier auch Tourismus, aber der fügte sich angenehm in das Leben des Fischerortes ein. Wir parken direkt am Strand, kaufen frischen Fisch und ließen es uns mal wieder so richtig gut gehen. Brasilien gefiel uns!

Am nächsten Morgen trafen wir bei unserem letzten Spaziergang durch Porto Bello eine nette Frau aus Blumenau. Sie erzählte uns von ihrer Familie, von ihren deutschen Vorfahren und ihrer Textilfirma, die sie jetzt wegen der zu starken chinesischen Konkurrenz schließen musste. 30 Arbeitsplätze gingen verloren. Das gleiche Problem haben aber auch die großen Firmen, sagte sie. Die von sächsischen Einwanderern in Blumenau gegründete Textilfabrik Hering, ein Vorzeigebetrieb in Brasilien, lässt fast nur noch in China produzieren. Die Belegschaft wurde innerhalb weniger Jahre von 15.000 auf 1.000 Angestellte reduziert. Wir wollten es kaum glauben. Brasilien, in unserer bisherigen Vorstellung selbst ein Schwellenland, hat ebensolche Probleme mit der Billigkonkurrenz aus Fernost wie die hoch entwickelten Industrienationen.

An der Küste fuhren wir nach Florianópolis und von dort weiter auf die Insel „Ilha de Santa Catarina“. Im Norden der 50 km langen Urlaubsinsel liegen die schönsten feinsandigen Strände mit Tausenden Touristen, der Süden ist noch ziemlich unberührt. Dort zog es uns hin. Wir fanden kleine Fischerorte und verschlafene Strandnester, aber auch hier wird die Küste so langsam zugebaut. Schön ist, dass dies nicht mit Hochhäusern und riesigen Hotelanlagen, sondern mit einer der Landschaft angepassten dezenten Architektur geschieht.

Noch etwa 100 km fuhren wir auf der BRA 101, der Küstenautobahn, südwärts, bis wir den Abzweig ins südbrasilianische Canyonland erreichten. Wir wollten, quer durch die Nationalparks Aparados da Serra und da Serra Geral, nach Cambará do Sul fahren. Die ersten Kilometer bis Praia Grande waren gut asphaltiert und dann begann die Horrorpiste. Am Anfang dachten wir noch ans Umkehren, später war es einfach nicht mehr möglich. Auf den nächsten 30 km überwanden wir mehr als 1000 Höhenmeter auf einer Piste, die schlimmer nicht sein könnte. Steigungen, Serpentinen, tiefe Spurrillen und faustgroße Steine machten die Fahrt zur Tortur. Immer wieder hofften wir auf eine Besserung des Straßenzustandes, aber erst ab der Passhöhe wurde es etwas einfacher. Natürlich sind wir ganz langsam gefahren und auch oftmals ausgestiegen, um die größten Steine aus dem Weg zu räumen, trotzdem war es eine unglaubliche Belastung für das Fahrzeug und die Reifen. Entschädigt wurden wir mit herrlichen Panoramaaussichten über die Canyonlandschaft bis zum Atlantik. Die Hänge und Bergplateaus waren mit mächtigen Araukarien bewachsen, die durch die Nationalparks geschützt werden, und überall sahen wir das satte Grün der Bergwiesen mit wild wachsenden Blumen. Es war schon fast dunkel, als wir im kleinen Gauchodorf Cambará do Sul ankamen. Wir wollten uns nach der anstrengenden Fahrt ein schönes Restaurantessen gönnen, aber Fehlanzeige. Außer einer kleinen Bierkneipe und einem Billardsaal war nichts geöffnet. Also mussten wir schauen, was uns die Bordküche zu bieten hatte, und das war sicher nicht schlechter als manches Restaurantessen.

Mit dem ersten Sonnenstrahl fuhren wir am nächsten Morgen los. Unser Zeitplan war angespannt, wir wollten an diesem Tag bis fast nach Uruguay kommen. Auf dem ersten Stück bis São Francisco de Paula erlebten wir noch einmal diese wunderschöne, für diese Gegend typische Landschaft mit Araukarien- und Eukalyptusbäumen, in saftige Wiesen eingebettete Seen und wogende Getreidefelder. Die Landschaft lag unter einer leichten Frühnebelschicht und wirkte regelrecht mystisch. Ab Porto Alegre mussten wir die mautpflichtige BRA 116 fahren, es gab keine Alternative und die Mautgebühren waren deftig. Zwischen 6 und 8 Euro kosteten es alle 50 km. Aber wir kamen recht gut voran und am späten Nachmittag waren es nur noch 150 km bis zum kleinen Grenzort Jaguarão. An einer Churrascaria hielten wir an, um nun endlich das legendäre Rodízio zu probieren. Auf einem Holzkohlegrill drehten sich Fleischspieße mit verschiedenen Fleischsorten. Diese wurden dann vom Kellner an den Tisch gebracht und man konnte sich das knusprigste Stück aussuchen, von dem dann eine dünne Scheibe abgeschnitten wurde. Kaum hat man diese verspeist wurde schon der nächste Spieß angeboten und so weiter, ohne Limit, bis zum Abwinken. Zwischendurch gab es Salat von Buffet und dann wieder Fleisch. Kathi und ich hatten eine schlechte Nacht, wir hatten einfach zu spät und, da es so lecker war, zu viel gegessen. Das waren wir nicht gewohnt. Petra hatte gut lachen, sie hatte auf das Fleisch verzichtet und nur vom Salatbuffet gegessen.



18.04.2012 – Durch Uruguay - zurück nach Buenos Aires

Wir waren schnell in Uruguay, schneller als es gut war. Die kleinen Grenzorte Jaguarão und Rio Branco haben keine Grenzkontrolle. Hier konnte man problemlos von Brasilien nach Uruguay wechseln und umgekehrt, erst etwas hinter oder vor den Städten gab es eine richtige Kontrollstelle, bei der man den wichtigen Stempel in den Pass gedrückt bekam. Das hatten wir übersehen, also mussten wir wieder nach Jaguarão zurück und uns den brasilianischen Ausreisestempel holen. Die Einreiseprozedur nach Uruguay war dann richtig entspannt. Zwar dauerte es lange, bis der Zoll das Auto endlich importiert hatte, aber es gab keine Einreisebeschränkungen, außer Rauschgift und Waffen war alles erlaubt. Da hatten wir unser Obst und die anderen Lebensmittel umsonst versteckt.

Nur wenige Kilometer nach dem Grenzort glaubten wir uns in einer anderen Welt. Die Straßen waren geradezu leer gefegt, kaum ein Auto kam uns entgegen und wenn doch, dann wurde schon von Weitem mit Lichthupe und Handzeichen gegrüßt. Die Gegend in Norduruguay war von Landwirtschaft und Viehzucht dominiert. Einige Farmen oder auch vereinzelte Häuser standen abseits der Straße, aber sonst war alles menschenleer. Vielleicht war das auch der Grund, warum die Nationalstraße 7 eher wie ein besserer Feldweg aussah. Es lohnte sich wohl nicht, diese Straße besser auszubauen. So rumpelten wir südwärts und schafften am ersten Tag gerade mal 250 km, dann verhinderte die schon gegen 18:00 Uhr beginnende Dämmerung eine Weiterfahrt. Im nächsten Dorf hatten wir dann Orientierungsprobleme. Alles war stockdunkel – Stromausfall. Vor dem Haus des Dorfmechanikers durften wir die Nacht verbringen. Er kam mehrmals zu unserem Wohnmobil und fragte, ob er uns nicht irgendwie helfen könnte. Ein bisschen Neugier war wohl auch dabei und so zeigten wir ihm unser Mobil und bedankten uns für den Stellplatz mit einer Flasche Wein, die er erst nach langer Diskussion annahm.

Am nächsten Morgen starteten wir mit der ersten Dämmerung. Je weiter wir nach Süden und zur Küste kamen, um so besser war das Land erschlossen. Die Straßen waren jetzt viel angenehmer zu befahren, die Städte wirkten modern und es gab alle notwendigen Versorgungseinrichtungen. Unsere restliche Zeit war leider so knapp bemessen, dass wir auf den Besuch von Punta del Este und Mondevideo schweren Herzens verzichtet haben. Einzig die 1680 gegründete Kolonialstadt Colonia del Sacramento, die älteste Stadt Uruguays, haben wir noch rechtzeitig erreicht und besichtigt. Wir konnten die bewegte Geschichte der Stadt, geprägt durch die vielen militärischen Auseinandersetzungen zwischen den portugiesischen und spanischen Truppen um die Vorherrschaft an diesem strategisch wichtigen Punkt, bei unserem Stadtrundgang regelrecht spüren. Eine dicke Wallanlage umgab den Stadtkern mit der Klosterruine, dem alten Fort und dem Leuchtturm. Aber auch die schön restaurierten historischen Häuser in der Calle de los Suspiros und die kleine Kirche „Iglesia de Benito“ aus dem Jahre 1761 trugen zum Flair dieser Stadt bei. Am Abend wirkte alles noch authentischer. Das grobe Kopfsteinpflaster der Gassen wurde nur spärlich von einzelnen Straßenlampen erleuchtet, aus den vornehmen historischen Restaurants drang gedämpfte Musik. Besser gefielen uns die urigen Kneipen, in denen die Einheimischen ihren Tag ausklingen ließen. Hier gab es Bier und Wein vom Fass und den für Uruguay typischen Chivito, einen Burger mit einer dünnen Scheibe Rindslende.
Erst gegen Mitternacht sind wir im Hobby in unsere Betten gestiegen und schon drei Stunden später weckte uns das grausame Klingeln des Weckers. Wir hatten die Frühfähre gebucht und mussten pünktlich 04:00 Uhr am Terminal stehen. Mit der aufgehenden Sonne erreichten wir Buenos Aires. Wir hatten zur Sicherheit die zwei letzten Tage für die aufwendigen Behördengänge eingeplant, die erforderlich waren, um alle Dokumente für Baskos Rückflug zu bekommen. Nach einem Tag hatten wir aber schon alles beisammen, sodass wir noch etwas Zeit gemeinsam in der Stadt verbringen konnten; und dann war der Zeitpunkt gekommen Abschied zu nehmen – von unserer Kathi und unserem treuen Begleiter Basko. Gemeinsam sind sie nach Frankfurt geflogen, wo unser Sohn Felix schon wartete, um Basko für die nächsten Wochen in Pflege zu nehmen. „Der erste der drei Globetrotter“, so schrieb es unsere Tochter dann im Facebook, „hat wieder deutschen Boden unter den Pfoten.“ Wir hingegen mussten uns noch etwas in Geduld üben, bis dann endlich unser Schiff, die „Grande America“, mit deutlicher Verspätung in den Hafen von Buenos Aires einlief. Jetzt konnte sie beginnen, die definitiv letzte Etappe unserer langen Reise.