Samstag, 24. Dezember 2011



Wir wünschen allen Freunden, Verwandten, Bekannten und den Lesern unseres Blogs ein besinnliches Weihnachtsfest und ein erfolgreiches und glückliches neues Jahr!


Unser vorerst letztes Weihnachtsfest in der Fremde verbringen wir in Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt. Hier treffen sich viele Amerikafahrer und es ist eine recht bunte und internationale Gemeinschaft.

Nach einigen Tagen auf Feuerland werden wir dann wieder nordwärts ziehen.

Der chilenische Nationalpark Torres del Paine, der Perito Moreno-Gletscher und der Cerro Fitz Roy werden unsere nächsten Ziele sein. Die Reiseberichte von Argentinien sind schon bald in Arbeit und können dann hier nachgelesen werden.

Donnerstag, 17. November 2011

21.08.2011 – 18.10.2011: Zentral- und Südchile – Wälder, Seen und Naturgewalten


24.08.2011 – In den fruchtbaren Andentälern

Je weiter wir nach Süden kamen, umso mehr war die bisher karge Wüste mit Kakteen, Sträuchern und anspruchslosen Bodenpflanzen durchsetzt. Dann wurde die Vegetation immer dichter, grüner und üppiger. Das wechselfeuchte subtropische Klima und die wasserreichen Flüsse, die aus den Kordilleren talwärts flossen, haben wundervolle Vegetationsoasen geschaffen. Obst und Wein gedeihen in diesen fruchtbaren Tälern am besten und während das Obst meist getrocknet wird, produziert man aus dem süßen vollmundigen Wein den besten Pisco des Landes.

Im Valle de Elqui und im oberen Huasco-Tal stehen die großen Destillerien, die für ihre Spitzenprodukte Capel, Mistral und Alto del Carmen bekannt sind. Noch delikater, aber auch wesentlich teurer, sind die in kleinen Familienbetrieben handwerklich und traditionell hergestellten Pisco-Brände, welche man bis zu 15 Jahren in Eichenholzfässern reifen lässt.

Die Gegend nordöstlich von La Serena ist jedoch nicht nur für benebelnde hochprozentige Spirituosen bekannt, sondern auch für ihre klare und saubere Luft in Höhenlagen zwischen 2000 und 2500 Metern. Die Inversionsschicht des Küstennebels hält alle störenden Staubpartikel fest und garantiert an 350 Tagen im Jahr einen fantastischen Sternenhimmel. So verwunderte es nicht, dass auf vielen Bergen die Kuppeln von riesigen Observatorien zu sehen waren, drei der weltweit wichtigsten befinden sich in dieser Gegend. So steht auf dem Berg La Silla ein Observatorium des europäischen ESO-Projektes (ESO - European Southern Observatory). Leider konnten wir diese technischen Wunder nicht besuchen, monatelange Voranmeldung und eine beschwerliche Anfahrt haben uns eine Besichtigung unmöglich gemacht.

Bei Vacuña gibt es das kleine Observatorium Mamalluca, in dem nächtliche Führungen zur Himmelsbeobachtung angeboten wurden. Wir erlebten eine absolut interessante astronomische Präsentation und konnten die Planeten, unsere Milchstraße und sogar eine abklingende Supernova beobachten. Diese Tour hat uns begeistert und unser Interesse an der Himmelsbeobachtung neu geweckt.

Auf der Weiterfahrt in Richtung Santiago mieden wir die autobahnähnlich ausgebaute Ruta 5, wo es nur ging. Das Fahren auf dieser Schnellstraße war nicht nur langweilig, sondern auch teuer. Alle 70 bis 80 km befand sich eine Mautstelle, und die Gebühr war unmoralisch hoch. Da unser Ford Transit Zwillingsreifen hat, mussten wir den teuren Lkw-Tarif, jeweils fast acht Euro, bezahlen. Hinter Los Vilos gab es endlich wieder eine küstennahe Alternativstrecke, auf der wir durch kleine Küstenorte bis Viña del Mar und weiter nach Santiago fuhren.

03.09.2011 – Santiago – hier schlägt das Herz Chiles

Von Westen her erreichten wir Santiago de Chile. Während wir noch durch die ruhigen Vororte fuhren, sahen wir schon das moderne Zentrum der Hauptstadt mit seinen Hochhäusern und der dahinter aufragenden schneebedeckten Bergkulisse der Anden. Es war einer der wenigen Tage, an dem Santiago smogfrei war. Wie viele andere Großstädte in Lateinamerika hat auch Santiago mit Überbevölkerung und der damit einhergehenden massiven Luftverschmutzung zu kämpfen. Im Großraum Santiago leben über 6 Millionen Menschen, rund 40 % der chilenischen Bevölkerung. Um den Individualverkehr etwas einzudämmen, sind die großen Ausfallstraßen und Stadtautobahnen mautpflichtig. Es wird ein automatisches Mautsystem eingesetzt, welches das Kennzeichen liest und dann den Mautbetrag auf einem Konto verbucht. Ob wir als Ausländer auch bezahlen müssen und wie das dann abläuft, haben wir nicht ermitteln können. Mit unserem „ALEMANIA“ an der Front waren wir anonym unterwegs, sind quer durch die ganze Stadt zum Flughafen gefahren und haben nichts bezahlt. Vielleicht war es eine ausgleichende Gerechtigkeit für die Abzocke auf der Panamericana.

Pünktlich 9:00 Uhr landete die Maschine aus Madrid und kurze Zeit später kam unsere Sohn Felix, vom langen Flug sichtlich übermüdet und abgekämpft, durch die Passkontrolle auf uns zu. Nach über einem Jahr konnten wir unseren Großen wieder in die Arme nehmen und uns auf drei gemeinsame Urlaubswochen freuen. Etwas außerhalb des Flughafens frühstückten wir erstmal ausgiebig, tauschten Neuigkeiten aus und besprachen die geplante Reiseroute. Als Erstes wollten wir uns Santiago ansehen.

Von anderen Reisenden hatten wir erfahren, dass es am Fuße des Cerro San Cristóbal einen bewachten Parkplatz gibt, auf dem wir recht sicher stehen könnten. Der Tipp war gut und der Platz beim Park Metropolitano ein idealer Ausgangspunkt, um die Stadt und auch den Cerro San Cristóbal zu erkunden. Der San Cristóbal ist die höchste Erhebung in der Stadt und auf seinem Gipfel thront ein Wahrzeichen Santiagos, die 22 m hohe Statue der Jungfrau Maria – ein Geschenk Frankreichs aus den 1920er Jahren. Auf dem Berg befinden sich einige Restaurants, Imbissstände und Grillplätze. Es ist eines der beliebtesten Ausflugsziele in Santiago und wir fühlten uns hier wie auf einem Volksfest - überall wurde gegrillt, gegessen, gespielt und gelacht. Leider war der Himmel bewölkt, die Sicht auf die Stadt sehr schlecht und dann fing es auch noch zu regnen an. Das geht ja gut los, dachte ich und hoffte, dass uns keine drei Wochen Regen bevorstehen. Die ganze Nacht trommelte der Dauerregen auf unser Wohnmobildach, aber am nächsten Morgen war alles vergessen. Die Sonne lachte und die Luft war sauber und klar - also beste Voraussetzungen für eine Stadtbesichtigung.

Die moderne Metro brachte uns schnell zur Station Santa Lucia. Gleich neben der Metrostation erhebt sich der kleine Cerro Santa Lucia. Hier wurde Santiago im Jahre 1541 gegründet. Der Hügel hatte bis ins 19. Jahrhundert eine wichtige strategische Bedeutung und wurde dann zu einem Park umgestaltet, der heute zu den schönsten Plätzen in Santiago zählt. Über eine monumentale neoklassizistische Treppe bestiegen wir den kleinen Berg. Von oben hatten wir den besten Überblick über die Stadt. Santiago hat kaum historische Gebäude. Die Stadt wurde, wie das ganze übrige Land auch, regelmäßig von Erdbeben heimgesucht, sodass heute kaum ein Gebäude älter als 150 Jahre ist. Auch das mangelnde Interesse der spanischen Krone an Chile, es gab hier weder Silber noch Gold, war ein weiterer Grund für das Fehlen eines historischen Stadtkerns.

Der in den 1930er Jahren begonnene Stadtumbau zu einer modernen industrialisierten Metropole hat aber auch unbestritten seinen Reiz. Fußgängerzonen und weitläufige Grünanlagen liegen zwischen den belebten Hauptstraßen. An der Plaza de Armas, dem zentralen Platz in Santiago, trifft man sich zum sonntäglichen Plausch oder zum Kaffeetrinken. Das geruhsame Tempo steckte an, wir saßen in der Frühlingssonne und ließen das bunte Leben auf der Plaza auf uns wirken.

Ein Muss bei jeder Stadtbesichtigung ist der Palacio de la Moneda - der Präsidentenpalast. Vieles in der jüngeren chilenischen Geschichte ist mit diesem Palast verbunden. Am 11. September 1973 war er der Schauplatz des blutigen Staatsstreiches gegen Allende. Das Gebäude wurde bombardiert und Allende beging hier Selbstmord. Erst im Jahre 2000 öffnete der neu gewählte Präsident Lagos, als eine seiner ersten Amtshandlungen, die Moneda wieder für das chilenische Volk.

Auf unserem Rückweg besuchten wir noch die berühmte Markthalle Santiagos, eine in England gefertigte Konstruktion aus Stahl und Glas. Im Bauch von Santiago, wie die Markthalle im Volksmund auch genannt wird, reihte sich eine gehobene Fischgaststätte an die andere. Es wirkte alles richtig exklusiv. Nur an ganz wenigen Marktständen wurde noch Obst, Gemüse oder frischer Fisch verkauft. Wir freuten uns auf ein leckeres Abendessen in einem der Fischrestaurants, was dann aber doch eher eine Enttäuschung wurde. Während Seeaal und Schwertfisch recht ordentlich zubereitet waren, hatte Petra Pech. Ihr gegrillter Lachs stank schon von Weitem und verdarb uns allen den Appetit. Es war ein unschöner Abschluss eines sonst sehr schönen Tages und unser Entschluss stand fest: Wir werden in Zukunft auf teure Gaststättenbesuche verzichten. Der von Petra im Wohnmobil gebrutzelte Fisch kann es jederzeit mit dem aus den besten Fischrestaurants aufnehmen.

08.09.2011 – Valparaiso und Viña del Mar – zwei ungleiche Schwestern

Von Santiago fuhren wir zurück an die Küste. Valparaiso und Viña del Mar waren unsere nächsten Ziele. Die beiden Orte haben jeweils annähernd 300.000 Einwohner, dies und ihre benachbarte Lage an der Bahia Valparaiso sind jedoch die einzigen Gemeinsamkeiten, die wir erkennen konnten.

Valparaiso hat wohl seine besten Tage schon hinter sich, waren unsere ersten Gedanken, als wir durch die ärmlichen Vororte fuhren. Unser Reiseführer bezeichnete Valparaiso als eine der schönsten Städte der Welt, als kulturelle Hauptstadt des Landes mit einer einmaligen Kolonialzeitarchitektur - aber wir sahen nur Schmutz, Verfall und Armut. Die Plaza Sotomayor, der Hauptplatz der Stadt mit dem Denkmal für die Seehelden von Iquique und dem alles überragenden Marineamt, war schön herausgeputzt, aber schon wenige Schritte weiter wurden wir von einem Security-Mitarbeiter gewarnt, auf dieser Straße weiterzugehen. Seine Handbewegung am Hals war eine eindeutige Geste. Dabei wollten wir gerade den ältesten Schrägaufzug der Stadt, den 1855 erbauten Ascensor Cordillera, benutzen. 16 solcher altertümlichen Aufzüge gab es in der Stadt, die sich über Hunderte Höhenmeter an den steil aufragenden Hügeln hochzieht. Die Aufzüge haben die Besiedlung erleichtert. Heute sind viele dieser für Valparaiso typischen Schrägaufzüge stillgelegt und die wenigen, die seit rund 150 Jahren bis heute ihren Dienst verrichten, waren für uns nicht sehr vertrauenerweckend. Etwas mulmig war es uns schon, als wir in den klapprigen Holzverschlag des Ascensor El Peral eingestiegen und sich der Aufzug knarrend und quietschend in Bewegung setzte. Die einheimischen Fahrgäste sahen uns wohl unsere Aufregung an und lachten. Sie leben ständig mit dieser Gefahr. Sogar das Auswärtige Amt warnte vor der Benutzung - aber einmal muss man schon mit so einer Klapperkiste gefahren seien.

Oben angekommen hatten wir einen traumhaften Blick über die tiefer liegenden Stadtteile und den Hafen. Langsam erkannten wir den Charme von Valpo, wie die Stadt hier genannt wird. Interessant ist das Nebeneinander von heruntergekommenen baufälligen Häusern und aufwendig restaurierten Kolonialbauten, in denen sich heute teure Gaststätten oder Luxushotels befinden. Die bewegte Geschichte der Stadt - Aufstieg, Niedergang und Neuanfang - spiegelte sich im heutigen Valpo wider. Im 19. Jahrhundert war Valparaiso der größte Hafen des gesamten Pazifikraumes. Dann, mit Eröffnung des Panamakanals und mit dem Rückgang der Salpeterexporte verkam die Stadt bis zur Bedeutungslosigkeit. Erst seit dem Wirtschaftsboom der 1980er Jahre floss auch wieder Geld nach Valpo. Mit diesem Wissen gelang es uns, die Stadt mit anderen Augen zu sehen. Es ist eine Stadt im Umbruch, von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt und heute im Wettlauf mit dem rasant voranschreitenden Verfall. Eines muss man Valpo aber lassen, die Stadt hat Charakter, was man von Viña del Mar nicht unbedingt behaupten kann.

Es ist schön in Viña, es ist sauber, ordentlich und fast alles ist neu erbaut. Hotels, Gaststätten, Casinos und unzählige Ferienwohnungen säumen den schönen Sandstrand und machen diesen Ort zu einem der beliebtesten Seebäder Chiles. Mit unserem Wohnmobil fühlten wir uns hier viel sicherer als in Valpo, aber die Stadt hat nichts Eigenes, nichts Typisches. Sie könnte genauso auch in Mexiko, in Spanien oder sonst wo auf der Welt stehen.

Das Schöne an diesen zwei so unterschiedlichen Städten ist jedoch, dass man sich nicht für eine entscheiden muss. Zwischen Valpo und Viña liegen Welten, aber sie sind nur 10 km voneinander entfernt.

12.09.2011 – An der Küste weiter südwärts

Nach dem dicht besiedelten Ballungsraum um Santiago und Valparaiso tat es gut, wieder durch eine ruhigere Gegend zu fahren. Bei Algarrobo erreichten wir wieder die Küste, die hier rau und mit mächtiger Brandung auf den breiten Sandstrand aufläuft. Vielleicht war diese schwere See auch der Grund, dass hier ein Weltrekord-Bauwerk entstand. Vor einer gewaltigen Ferienanlage erstreckt sich der größte Swimmingpool der Welt – mit über 1000 m Länge und einem Fassungsvermögen von 250 Millionen Liter Wasser. Der Parkplatz neben der Ferienanlage war gut für eine Nacht und einen WiFi-Internetzugang gab es noch gratis dazu.

Nur wenige Kilometer weiter liegt Isla Negra, ein kleiner Fischerort, der durch das Pablo-Neruda-Haus, dem größten und schönsten der drei Neruda-Häuser, bekannt geworden ist. Neruda hatte nicht nur beim Schreiben große Ideen und viel Fantasie, sondern ebensolche auch beim Bau und der fortwährenden Veränderung seiner Häuser. Ständig wurde etwas umgebaut, erweitert und geändert. Ein Baumeister und ein Zimmermann hatten eine Festanstellung bei Neruda. Dem Haus sieht man Nerudas Liebe zum Meer an. Er sammelte alles, was mit der Seefahrt zu tun hatte. Muscheln, Buddelschiffe und Galionsfiguren zieren die Wände und das Esszimmer ist einer Hafenkneipe nachempfunden.

So maritim eingestellt erreichten wir San Antonio, die größte Hafenstadt südlich von Valparaiso. Wir kamen gerade richtig zum wöchentlichen Fischmarkt. Es war ein Erlebnis, die riesigen Berge an exotischen Fischen und Meeresfrüchten zu sehen. Gleich neben den Fischständen rekelten sich Seelöwen auf den Felsen und die Pelikane zankten sich lautstark um die Fischabfälle. Wir kauften Schwertfischfilet, eine in Deutschland ausgesprochen seltene Delikatesse, und bezahlten gerade mal 3,50 € pro Kilo. Dann erstanden wir auch noch frisch geräucherten Reineta. Es ist einer der beliebtesten Speisefische in Chile und geräuchert haben wir ihn bisher noch nie bekommen.

Mit Fisch waren wir jetzt gut versorgt, und da die Stadt nicht viel Sehenswertes bot, fuhren wir bald weiter. Unsere Fahrt führte uns auf kleinen Nebenstraßen, abseits der mautpflichtigen Panamericana, an der Küste südwärts. Oft staunten wir über neu gebaute Strandpromenaden, Schulen, Vereinshäuser und öffentliche Gebäude. Hier wurde in den letzten Jahren viel staatliches Geld investiert und wieder aufgebaut, was durch verheerende Naturgewalten zerstört wurde - wir waren in der gefährlichsten Erdbebenregion Chiles. Bis zu 500, meist jedoch nur kleinere Beben werden jedes Jahr aufgezeichnet, aber alle paar Jahre kommt es zu einer regelrechten Naturkatastrophe. In Concepción steht kein einziges historisches Gebäude, alles ist modern, nüchtern und funktional. Die Geschichte der Stadt ist ein einziges Horrorszenario. Sechsmal wurde die Stadt bisher durch Erd- oder Seebeben zerstört oder großflächig beschädigt. Das letzte große Erdbeben von 2010 hatte sein Epizentrum auch wieder in der Nähe von Concepción. Es wurden solch gewaltige Kräfte freigesetzt, dass die gesamte Stadt um 3 Meter nach Westen verschoben wurde. Kein Wunder, dass viele Chilenen hier nicht mehr wohnen möchten und wegziehen. Auch für Touristen und Gäste bietet die Stadt nicht viel Sehenswertes - wir ließen die Stadt schnell hinter uns.

Hunderte Kilometer fuhren wir durch weitläufige Waldplantagen. Der wilde chilenische Wald mit den typischen Andenlärchen, den Eichen und Buchen ist schon lange abgeholzt. Während der Militärdiktatur unter Pinochet wurde der Holzeinschlag subventioniert. Die Chilenen schafften es, den ursprünglichen Wald in einer Geschwindigkeit abzuholzen, die sogar das Tempo in den brasilianischen Amazonaswäldern übertraf. Heute setzt man auf schnell wachsende Kiefern und Eukalyptusbäume. Die ganze Gegend lebt von der Holzwirtschaft. Die Straßen wurden von Holztransportern dominiert und im Abstand von wenigen Kilometern stehen Zellulose- und Holzfabriken. Über einfache Hafenanlagen, die nur aus einer Landungsbrücke und einem Förderband bestehen, wurde das Holzgranulat dann auf Schiffe verladen und in alle Welt verkauft. Chile hält den zweifelhaften Rekord, eines der Länder mit den umfangreichsten Waldplantagen weltweit zu sein.

17.09.2011 – Im chilenischen Seengebiet

Südlich von Temuco kreuzten wir die Panamericana und fuhren in Richtung Andenkette. Hier liegt, eingebettet zwischen dichtem Mischwald, Feldern und grünen Weiden, das chilenische Seengebiet. Schon von Weitem sehen wir den Vulkan Villarrica. Mit seiner idealen Kegelform zählt er zu den schönsten Vulkanen Chiles. Auf der Fahrt zum gleichnamigen See war er unser Wegweiser.

Am Abend begann es stark zu regnen und auch die ganze Nacht trommelte der Dauerregen auf das Dach unseres Wohnmobils. Ideales Fahrwetter für unseren Kurzausflug nach Argentinien, dachten wir. Da unser Visum und die Einfuhrerlaubnis für das Wohnmobil nur noch eine Woche gültig waren, wollten wir mit einem Grenzübertritt beides erneuern. Felix hatte sich bereit erklärt, mit Basko und den einfuhrverbotenen Lebensmitteln auf der chilenischen Seite in einer Gaststätte zu warten. Es regnete immer noch, als wir am nächsten Morgen in Richtung Argentinien aufbrachen. Über Pucon und Curarrehue kamen wir auf guter Straße flott voran, dann ging es ziemlich steil bergauf zum Grenzpass nach Argentinien. Der Regen der letzten Nacht war hier als Schnee gefallen und je höher wir kamen, umso kritischer wurden die Straßenverhältnisse. Mittlerweile gab es nur noch eine Spur aus festgefahrenem Schnee. Wir hatten keine Schneeketten und unsere Reifen waren für diese Straßenverhältnisse nicht geeignet. Wie sollten wir ausweichen, wenn uns ein Fahrzeug entgegen käme? Wir wollten das Winterabenteuer so schnell wie möglich abbrechen, aber leichter gesagt als getan. Die Straße war zu schmal, es gab keine Möglichkeit zum Wenden. Dann kamen uns zwei argentinische Fahrzeuge entgegen. Beim Ausweichen rutschten wir in den hohen Schnee und kamen nicht mehr los. Die Argentinier hielten sofort an und wollten uns helfen das Wohnmobil rauszuschieben, aber wir saßen zu tief im Schnee fest. Da half nur Schnee schaufeln. Mit unserem Klappspaten haben Felix und ich eine Spur für die angetriebenen Räder freigeschaufelt und wir waren gerade dabei auch noch etwas Freiraum auf der Straße zu schaffen, als wir den Schneepflug hörten. In kurzer Zeit hatte das schwere Räumfahrzeug eine Stelle zum Wenden frei geschoben uns aus dieser kritischen Situation befreit.

Als wir wieder talwärts rollten, waren wir erleichtert und froh, dass nichts Schlimmeres passiert war. Wir hatten die Wettersituation am Malal-Pass völlig falsch eingeschätzt. Ein Besuch der Thermen in Trancura rettete uns dann den trüben und kalten Tag.

Der nächste Morgen begrüßte uns mit frostigen Temperaturen, klarem Himmel und Sonne pur. In Pucon, einem netten kleinen Touristenort, der uns etwas an Banff in Kanada erinnerte, verbrachten wir den Tag. Der gepflegte Ort liegt am Ufer des Lago Villarrica, am Fuße des gleichnamigen Vulkans, der mit einer Rauchwolke darauf aufmerksam machte, dass er zu den aktiven Vulkanen Chiles zählt.

Unserer weitere Fahrt führte uns über wunderschöne Panoramastraßen nach Süden. Immer neue Ausblicke auf malerische tiefblaue Seen, eingerahmt von den schneebedeckten Andengipfeln, veranlassten uns wiederholt anzuhalten und dieses Bilderbuchpanorama regelrecht in uns aufzusaugen. Wir befanden uns in einer der schönsten Gegenden Chiles und manches hier verursachte bei uns heimatliche Gefühle. Nicht nur die Landschaft, die uns an die Alpen erinnerte, sondern auch die gepflegten Häuser mit ihren blumengeschmückten Fenstern und Balkonen. In den Vorgärten blühten bunte Frühlingsblumen und in deutscher Sprache wurden Pensionszimmer, landwirtschaftliche Erzeugnisse oder Kuchen angeboten.

In Puerto Octay trafen wir Christian. Er sprach ein ausgezeichnetes Deutsch und war stolz auf seine deutschen Vorfahren. Seine Urgroßeltern kamen 1880 aus Süddeutschland nach Chile. Die chilenische Regierung suchte damals nach einwanderungswilligen Deutschen, um die südchilenische Wildnis zu besiedeln. In über 30 deutschen Tageszeitungen wurde inseriert und 1846 kamen die ersten Deutschen nach Chile. Bis zur Jahrhundertwende waren es dann über 10.000 Einwanderer, die sich im Kampf gegen Schlamm, Regen und fast undurchdringlichen Urwald eine neue Existenz aufbauten. Heute erinnert manches an diese schweren Jahre. In vielen Vorgärten stehen noch die ersten Pflüge oder die alten Dampfmaschinen, mit denen die Bandsägen angetrieben wurden. Die deutsche Besiedlung in Südchile war eine Erfolgsstory. Produkte aus den sauber geführten Farmen waren und sind bis heute noch genauso gefragt wie die Angebote der deutschen Restaurants, Bäckereien oder Hotels.

Christian war noch nie in Deutschland, aber er kannte alle großen Städte, alle Bundesländer, die aktuellen Probleme in Deutschland und die derzeitige politische Situation. Sprache und Tradition wurden in seiner, wie in den meisten deutschen Einwandererfamilien ganz konsequent bewahrt. Zum Abschied gab er uns noch den Tipp, Frutillar zu besuchen. Es wäre die deutscheste Stadt in Chile.

In Frutillar, auf Deutsch Fruchtweiler, fühlten wir uns wirklich wie in Deutschland. Der kleine Ort lebt vom Tourismus und vermarktet sehr erfolgreich seine deutschen Traditionen. Man schläft hier im „Hotel am See“, trinkt Paulaner-Bier oder Filterkaffee und isst Spätzle, Strudel oder Obstkuchen. Überall sahen wir deutschsprachige Angebote und aus den geöffneten Fenstern der deutschen Schule hörten wir deutsche Volkslieder. Unser positiver Eindruck von Frutillar änderte sich aber schlagartig, als wir dann am Seeparkplatz das große Schild sahen, auf dem in mehreren Sprachen ein generelles Parkverbot für Wohnmobile im ganzen Ort verfügt war. Solch ein Reglement hatten wir seit den USA nicht mehr erlebt. Hier haben die Stadtväter wohl etwas über das Ziel hinaus geschossen, zumal es in Chile kaum Wohnmobile gibt. Wir haben uns dann auch nicht sehr lange in Frutillar aufgehalten und sind dorthin weitergefahren, wo wir willkommen waren.

23.09.2011 – Die Insel Chiloe

„Chiloe ist wunderschön“ wurde uns immer wieder versichert, wenn wir mit Chilenen über unsere nächsten Reiseziele sprachen. „Da müsst ihr unbedingt hinfahren“. Unsere Erwartungen waren also hoch, als wir mit der Fähre über den Chacao-Kanal übersetzten und nach 30-minütiger Fahrtzeit auf der zweitgrößten Insel Südamerikas von Bord rollten. Es war ein idealer Tag, die Sonne tauchte das Meer in ein tiefes Blau und die saftigen Wiesen standen im farblichen Kontrast zum leuchtend gelben Ginster. Rinder, Schafe und auch einige Pferde standen auf den saftigen Weiden und fraßen sich am frischen Gras satt. Eine landschaftliche Idylle war unser erster Gedanke, aber beim genauen Hinsehen erkannten wir das karge und entbehrungsreiche Leben der Chiloten. Die Häuser waren klein und alt, durch die Fenster und Türen pfiff der Wind. Für den langen Winter auf Chiloe hatte man nur einen kleinen Holzofen als Heizquelle, Strom und fließendes Wasser waren keine Selbstverständlichkeit. In manchen Vorgärten standen alte verrostete Pick-ups - Zeichen eines bescheidenen Wohlstandes auf Chiloe. Wer will heute noch so leben? Die jüngere Generation sah schon vor vielen Jahren keine Perspektive mehr auf der Insel. Das schöne ursprüngliche Leben, weswegen die Besucher aus Santiago und aus anderen großen Städten hierher kommen, ist für die Chiloten ein täglicher Existenzkampf, der sich langsam entwickelnde Tourismus die einzige Hoffnung für die Inselbewohner.

An der Westküste, bei Pumillahue, hatte man diesen Tourismus-Trend schon erkannt. Hier befindet sich eine Kolonie von Magellan- und Humboldtpinguinen. Mit einem kleinen Motorboot fuhren wir zu den Inseln des Naturschutzgebietes und konnten die putzigen Vögel beobachten. Besonders die hüpfende, fast etwas schwerfällig wirkende Fortbewegung auf dem steinigen und steilen Ufer und die Leichtigkeit, mit der sich diese guten Schwimmer im Wasser bewegten, war gut zu sehen. Die Beobachtung war übrigens nur vom Boot aus möglich, die Inseln durften nicht betreten werden. Diese Maßnahme galt vor allem den im Bestand gefährdeten Humboldtpinguinen, von denen es nur noch wenige Tausend gibt.

Am nächsten Morgen regnete es in Strömen und wir waren froh, den Ausflug zur Pinguinkolonie noch am Vortag unternommen zu haben. Die Fischer sagten uns, dies wäre das typische Wetter auf Chiloe, der Sonnenschein gestern war eine Ausnahme. Über Chiloes Wetter schrieb schon Charles Darwin im Jahre 1834 nach einem Besuch der Insel: „Im Winter ist das Klima schauervoll, und im Sommer ist es nur ein wenig besser. Ich glaube, es gibt innerhalb der gemäßigten Zonen wenige Teile der Erde, wo so viel Regen fällt. Die Winde sind sehr stürmisch, und der Himmel ist beinahe immer bewölkt“. Wie wenig sich doch in den Jahren seit damals geändert hat. Wir rumpelten über die Schotterstraße zurück nach Ancud, der Himmel hing voller dichter Wolken und der Wind trieb mit heftigen Böen Regenschauer über das Land. Die gestern noch so liebliche Landschaft war verschwunden. Alles war grau, nass und kalt.

Bis Dalcahue fuhren wir noch und quartieren uns dann direkt am Hafen ein. Die Fischerboote waren bei Ebbe auf die Seite gekippt und lagen wie gestrandet im flachen Wasser. Erst mit der nächsten Flut konnten sie wieder auslaufen, aber die wenigsten Fischer fuhren an diesen Tagen zum Fischen raus. Es gab zu wenig Nachfrage auf der Insel, erst in den Ferienmonaten wird das Geschäft wieder besser laufen. Wir verbrachten den Rest des Tages im Wohnmobil, Petra bereitete uns frischen Fisch zum Abendessen und danach machten wir es mit einem Glas Wein so richtig gemütlich.

Trotz des weiterhin trüben Wetters besuchten wir am nächsten Tag, es war der letzte gemeinsame Tag mit Felix, die Hauptstadt Castro. Hier steht die größte und imposanteste Holzkirche Chiloes. 150 dieser so typischen Kirchen wurden bis Ende des 19. Jahrhunderts auf Chiloe und den Nachbarinseln erbaut, alle aus Holz und oft mit Alerceschindeln oder bunt bemaltem Blech verkleidet. 16 von ihnen sind als UNESCO-Welterbe eingestuft. Die Kathedrale in Castro ist auch deshalb so interessant, weil sie von einem italienischen Architekten als Stein- und Betonbau entworfen wurde. Da aber das Alerceholz viel billiger und auf der Insel in großer Menge vorhanden war, baute man die Kirche einfach aus Holz. Ein wirklich eindrucksvolles Bauwerk, vor allem von innen, wobei der langsame Verfall nicht zu übersehen war.

Außer der Kathedrale waren noch die Pelafitos, die berühmten bunt getünchten Pfahlhäuser Castros sehenswert. Sie sahen von der Straßenseite wie ganz normale Häuser aus, standen aber auf ihren Stelzen halb im Wasser, sodass die Fischer mit ihren Booten direkt unter die Häuser fahren konnten. So pittoresk diese bunt angestrichenen Pelafitos auch aussahen und so oft sie auch als Fotoobjekt herhalten mussten - wohnen wollte dort kaum noch jemand. Die Häuser sind nicht viel mehr als dünnwandige Bretterbuden, ohne vernünftige Heizung oder sanitäre Anlagen.

Auf unserer Rückfahrt nach Puerto Montt hielten wir noch für einen Stadtspaziergang in Ancun, aber bei diesem trostlosen und regnerischen Wetter machte es einfach keinen Spaß. Vielleicht war es nur Zufall, aber nachdem wir das Festland wieder erreicht hatten, lugte die Sonne zaghaft durch die Wolken und in Puerto Montt schien sie dann von einem fast wolkenfreien Himmel.

Am letzten Abend mit unserem Sohn saßen wir noch lange zusammen und wollten den Augenblick festhalten. Wir erzählten, machten Pläne und waren uns doch dessen bewusst, dass die gemeinsamen Tage morgen vorbei sein werden und wir uns für eine längere Zeit nicht mehr sehen. Am nächsten Morgen fuhren wir Felix pünktlich zum Flughafen nach Puerto Montt und dann fühlten wir uns wieder mindestens einen ganzen Tag so richtig einsam.

04.10.2011 – Zeugen der Naturgewalten

Einen Tag, nachdem Felix zurück nach Deutschland geflogen war, begann das schlechte Wetter mit Regen, Wind und Kälte. Es fühlte sich an wie ein nasskalter April in Deutschland. In Puerto Varas gab es einen ruhigen Parkplatz, direkt am See, und dort warteten wir auf eine Wetterbesserung. Jeden Tag hofften wir darauf, endlich zur Erkundung des Lago Llanquihue aufbrechen zu können, doch es regnete noch weitere fünf Tage. Dann begrüßte uns am Morgen ein wolkenloser Himmel und strahlender Sonnenschein. Nach einem schnellen Frühstück wollten wir nur noch los. Wir fuhren am südlichen Ufer des Lago Llanquihue entlang und staunten immer wieder über die fantastischen Ausblicke. Grüne Wiesen, tiefblaues Wasser und der schneebedeckte Vulkan Osorno, der sich am anderen Ufer des Sees erhebt und mit seiner Kegelform das Idealbild eines Vulkans darstellt. Er ist dem Vulkan Villarrica sehr ähnlich und in Chile entbrennt gelegentlich ein Streit darüber, welcher der beiden der schönere ist.

Ein nicht weniger schönes Panorama bot sich uns am kleinen Lago Todos Los Santos. Im tiefblau bis smaragdgrün schimmerndem Wasser spiegelten sich die verschneite Spitze des Cerro Tronador, dessen Gipfel direkt auf der Grenze zu Argentinien liegt, und die schroffe Felsspitze des Vulkans Puntiagudo. Noch heute ist der See von dichtem immergrünen Regenwald umgeben. Am westlichen Ufer, am Fuße des Vulkans Osorno, lagen riesige Berge schwarzer Asche und Lavagranulat. Sie stammten noch vom letzten Ausbruch des Vulkans Osorno vor mehr als 150 Jahren. Seit diesem großen Ausbruch ist es ruhig geworden um den Osorno, ungefährlich ist er deswegen noch lange nicht. Besonders die extremen Wetterumschwünge haben schon manches Bergsteigerteam kalt erwischt, einige Alpinisten haben es sogar mit ihrem Leben bezahlt. Für uns war es bei diesem ruhigen Wetter kaum eine Herausforderung, auf dem Vulkan Osorno zu fahren und etwas zu wandern. Bis zur Schneegrenze in etwa 1300 m Höhe führt eine sehr steile, aber gut befahrbare Serpentinenstraße. Hier beginnen die Bergpfade und auch ein Sessellift fuhr bis zu den unteren Vulkankratern. Leider lag an diesem Nachmittag hier oben alles in dichtem Nebel, auch der viel gerühmte Ausblick über den Lago Llanquihue blieb uns verborgen. Nach einer kurzen Wanderung freuten wir uns auf das Abendessen im warmen Wohnmobil und auf eine ruhige Nacht. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass wir kaum Schlaf finden würden. Gegen 22:00 Uhr frischte der Wind auf und rüttelte schon bedenklich an unserem Wohnmobil. Eine Stunde später hofften wir nur noch, dass wir vom orkanartigen Sturm nicht umgeworfen werden. Die Temperaturen waren innerhalb weniger Stunden bis unter den Gefrierpunkt gefallen und der eisige Regen bildete an den Wänden und Fenstern des Wohnmobils eine dicke Eisschicht. Als auch nach Mitternacht der Sturm nicht nachließ, sind wir wenigstens einige Meter in den Windschatten einer Berghütte gefahren - viel genützt hat es jedoch nicht.

Mit der ersten Dämmerung am Morgen haben wir die Abfahrt vom Vulkan gewagt. Zum Glück war die Eis- und Schneeschicht auf der Straße verharscht und rau. Ganz langsam rollten wir im ersten Gang, fast ohne zu bremsen, ins Tal. Hier unten merkten wir von dem Sturm kaum etwas, alles war ruhig, fast windstill, mit etwas Nieselregen. Jetzt konnten wir die Gefährlichkeit eines Wetterumschwungs auf dem Osorno nachvollziehen. Wie muss man sich fühlen, wenn man von solch einem Wetter auf dem Gipfel überrascht wird.

Neben vielen erloschenen Vulkanen, wie den Osorno, besitzt Chile mit 130 aktiven Vulkanen die meisten der Welt. Einer davon ist der nur wenige Kilometer westlich der Stadt Osorno gelegene Vulkan Puyehue. Am 4. Juni dieses Jahres ist er, nach über 50-jähriger Pause, erneut ausgebrochen. Als wir vier Monate nach diesem Ausbruch in Richtung Argentinien fuhren, wollten wir es kaum glauben, aber der Puyehue war noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Eine riesige Rauch- und Aschesäule stand über dem Berg und ließ uns erahnen, wie viel Energie der Vulkan noch immer freisetzte. Je näher wir dem Vulkan kamen, um so dichter wurde der Staub auf der Straße und im Nationalpark Puyehue lag alles unter einer dicken hellen Ascheschicht.

Im Nationalpark kamen wir mit Enrico, dem Betreiber der Hosteria, ins Gespräch. Er war Augenzeuge des Ausbruchs und berichtete uns von der gewaltigen Eruption, die innerhalb von fünf Stunden 100 Millionen Tonnen Asche, Sand und Bimsgestein mehrere Kilometer in die Höhe geschleudert hat. Dafür war eine Energie erforderlich, die der von 70 Atombomben entsprach, so die Berechnung argentinischer Wissenschaftler. Bis nach Australien waren die Auswirkungen zu spüren, so musste zum Beispiel in Perth der Flughafen geschlossen werden - aber die schlimmsten Auswirkungen verzeichnete man in unmittelbarer Nähe des Vulkans. Eine Fläche von über 700.000 Quadratkilometern war betroffen. In manchen Regionen sah es aus wie im Winter nach Neuschnee. Bäume, Straßen, Häuser, Vorgärten - alles war mit einer dichten hellgrauen Ascheschicht bedeckt. Noch schlimmer als in Chile waren die Auswirkungen in Argentinien. Die Gegend um Bariloche lebt fast ausschließlich vom Tourismus, jetzt war alles trostlos und grau. An vielen Restaurants und Pensionen sahen wir ein „SE VENDE-Schild“. Es war sicher der schlechteste Zeitpunkt zum Verkaufen, aber die Not zwang die Menschen zum Handeln. Auch die Viehwirtschaft litt unter dem Vulkanausbruch. Mehrere 100.000 Schafe sind in Argentinien verendet, weil sie die Last der Asche nicht mehr tragen konnten oder kein Futter mehr fanden.

Im chilenischen Osorno verzeichnete man dagegen ein anderes Phänomen. Jeden Abend kamen Tausende bunte Choroy, eine chilenische Papageienart, aus den betroffenen Andengebieten in die Parks der Stadt geflogen, weil sie keine Nahrung mehr fanden. Am nächsten Morgen flogen sie, ihrem inneren Orientierungssinn folgend, zurück, und am Abend waren die Bäume in den Parks von Osorno wieder von unzähligen Vögeln grellbunt gefärbt.

Vor knapp zwei Jahren waren wir indirekt von der Aschewolke des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull betroffen. Damals wurde der Flug unserer Tochter nach Mexiko gestrichen und wir haben das Geschehen aufmerksam verfolgt. Dass wir eine ähnliche Naturkatastrophe so hautnah erleben würden, hätten wir uns damals nicht vorgestellt.

Samstag, 1. Oktober 2011

25.06.2011 – 20.08.2011: Nordchile – Wüsten, Strände und Bergbauminen


28.06.2011 – Arica und Iquique – zwei Hafenstädte mit historischer Bedeutung

Unser erstes Ziel war Arica, die nördlichste Stadt des Landes. Hier wurde auch unser erster Eindruck von Chile geprägt. Chile ist eines der reichsten Länder Südamerikas und dies war schon in Arica zu sehen. Die Stadt wirkte gepflegt und sauber, fast schon europäisch. Es gibt riesige Shoppingcenter, die keine Wünsche unerfüllt lassen - zumindest für den Teil der chilenischen Bevölkerung, der sich den westlichen Wohlstand leisten kann. Auch in den Außenbereichen der Stadt sahen wir überwiegend ordentliche Wohnhäuser mit Farbe oder Putz an den Außenwänden, also ganz anders als wie wir es von Peru und Bolivien gewohnt waren.

Nachdem wir uns am Geldautomat mit einem sechsstelligen Betrag in Peso (der Kurs liegt bei 1 : 680) versorgt hatten war unser nächstes Ziel der große Supermarkt. Hier gab es wirklich alles, übrigens auch auffallend viele deutsche Produkte, aber zu Preisen, die wir in dieser Höhe auch schon lange nicht mehr bezahlen mussten. Chile ist kein billiges Reiseland. Das galt auch für die oftmals sehr einfachen Campingplätze, die mit 8.000 - 12.000 Pesos pro Nacht einfach zu teuer waren.

Im Norden der Stadt, weit abseits vom Zentrum und den schönen Stränden, gab es einige dieser schlichten Campingplätze, aber die meisten waren jetzt im Winter geschlossen oder sie hatten eine für unser Wohnmobil zu enge Einfahrt. Am Yachthafen fanden wir dann einen guten Stellplatz – zentrumsnah, sicher und vor allem kostenlos. Sogar den Wasseranschluss und das Internet vom Yachtclub konnten wir benutzen. Das Meer brandete von Süden gegen die Mole und der Wind brachte uns den würzigen Geruch des Pazifiks direkt ans Wohnmobil. Ein toller Platz, auf dem wir es dann auch fast zwei Wochen ausgehalten haben. Auch die Stadt hatte einiges zu bieten. Das Zentrum mit der Fußgängerzone, den Shops und Straßencafés lud zum Bummeln und Verweilen ein und einige Gebäude in der Stadt sind richtig berühmt. Gustave Eiffel hatte sich in Arica, 14 Jahre vor dem Bau des Eiffelturms, mit der komplett aus Eisen erbauten Iglesia San Marcos einen Namen gemacht. Auch das alte Zollgebäude von 1874 wurde von ihm entworfen.

Leider hatten wir, was das Wetter an der Küste betraf, falsche Erwartungen gehabt. Die Stadt des ewigen Frühlings, wie Arica auch genannt wird, zeigte sich meist wolkenverhangen. An den wenigen sonnigen Tagen unternahmen wir Ausflüge ins Umland der Stadt oder kraxelten auf den Morro. Dieser, die Stadt mit 110 m überragende Felsmonolith hatte für Arica eine große strategische Bedeutung. Hier oben stand die peruanische Festung zur Stadtverteidigung, die am 7. Juni 1880 von den Chilenen eingenommen wurde. In einem Museum auf dem Morro wurden die Details dieser entscheidenden Schlacht im Salpeterkrieg gegen Peru und Bolivien selbstbewusst dargestellt.

Auch bei unserem nächsten Reisestopp in der ehemals peruanischen Hafenstadt Iquique trafen wir auf Zeugnisse dieser Zeit, und der chilenische Stolz auf den Sieg im Salpeterkrieg war auch hier nicht zu übersehen. Während einer Hafenrundfahrt fuhren wir auch zu der Stelle, wo die Seeschlacht gegen Peru getobt hat. Dass dabei das stolze chilenische Kriegsschiff Esmeralda unter Kapitän Prat versenkt wurde, hatte auf den Kriegsausgang wenig Einfluss. Die zur Schau getragene Freude unseres Reiseführers über den damals gewonnenen Krieg kannte kaum Grenzen, als er bemerkte, dass auch zwei peruanische Familien auf dem Boot waren. Wir fanden es, obwohl wir nur einen Teil seiner Erklärungen verstanden, etwas unpassend und überzogen. Andererseits war dies nur ein Ausdruck des seit dieser Zeit schwelenden Konflikts zwischen Peru/Bolivien und Chile. Chiles Salpeter-und Kupfervorkommen, bis heute die Basis für den Wohlstand des Landes, liegen in genau den Gebieten, die Chile im Salpeterkrieg von Peru und Bolivien gewonnenen hatte. Dazu kommt, dass Bolivien durch den Salpeterkrieg jeglichen Zugang zum Meer verloren hat und immer wieder versucht, heute vor allem mit diplomatischen Mitteln, eine Lösung dafür zu finden.

Bei unserer anschließenden Stadtbesichtigung konzentrierten wir uns vor allem auf den historischen Stadtkern. In der Mitte der Plaza Prat steht der Uhrturm, das Wahrzeichen der Stadt, umgeben vom neoklassizistischen Theater Municipal, dem prunkvollen ersten Gewerkschaftshaus des Landes und den im maurisch-spanischen Stil errichteten ehemaligen Club Español. Dieses, mit blauen Kacheln verkleidete Gebäude aus dem Jahre 1904, in dem sich heute ein vornehmes Restaurant und ein Kasino befinden, ist noch weitestgehend original erhalten. Mit seinen wertvollen Holzvertäfelungen, den alten Möbeln und den schweren Teppichen, versetzte es uns gedanklich in diese Zeit zurück. Die Mitglieder der spanischen Kolonie in Iquique wussten, wie es sich gut leben lässt. Auch auf der vom Plaza Prat abgehenden Avenida Baquedano ist diese alte Zeit noch gegenwärtig. Hier ist ein zusammenhängendes bauliches Ensemble noch so erhalten wie vor 100 Jahren, zur Blütezeit der Stadt. Die Fußwege, noch heute aus Holz, und die hölzernen Häuser mit ihren großen Dachterrassen, sind wohl einmalig in Chile. Das vornehmste und größte Gebäude aus dieser Zeit steht an der Ecke zur Calle O’Higgins. Einen ganzen Block breit erstreckt sich das Palacio Astoreca. Es ist öffentlich zugänglich und enthält noch einige Originalmöbel und Einbauten. Hier konnten wir sehen, wie prunkvoll der Geldadel und die Salpeterbarone in dieser Zeit lebten. Der Wohlstand wurde in den umliegenden Salpeterminen unter fast feudalistischen Verhältnissen erwirtschaftet.

12.07.2011 – Humberstone und Chuquicamata – zwei legendäre Minen in der Wüste

Auf unserer Weiterfahrt ins Landesinnere kamen wir an unzähligen stillgelegten Salpeterminen, den sogenannten Oficinas, vorbei. Die Oficinas waren eine abgeschlossene Welt und diese gehörte de facto den Salpeterbaronen. Alles in den Minen war ihr Eigentum, nicht nur die Abbau- und Verarbeitungstechnik, sondern auch die Häuser der Arbeiter, die Geschäfte, die Kneipen, einfach alles. Bezahlt wurden die Arbeiter mit eigenen Münzen, die nur in der jeweiligen Oficina gültig waren. So wurde gewährleistet, dass die Arbeiter ihre Löhne auch direkt bei Minenbesitzer wieder ausgaben. Die meisten dieser Minen hatten ihren Höhepunkt in den Jahren zwischen 1920 und 1930. Danach wurde der Abbau zunehmend unwirtschaftlich. Das in Deutschland entwickelte chemische Verfahren zur Ammoniaksynthese ermöglichte es, Salpeter wesentlich billiger herzustellen. Nur wenige Salpeterminen überlebten diese Zeit. Eine davon war die 45 km von Iquique entfernt liegende Humberstone-Salpetermine. Sie wurde erst 1961 endgültig stillgelegt. Zu diesem Zeitpunkt war sie noch in einem so guten Zustand, dass sie zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Heute steht sie auf der Liste der gefährdeten Kulturstätten weit oben, weil der Verfall dieser alten Salpeterstadt rasend schnell voranschreitet. Die einfachen Unterkünfte, die Verwaltungsgebäude und die technischen Einrichtungen der Mine, ursprünglich nur für eine kurze Zeit errichtet, sind heute in einem sehr baufälligen Zustand. Vieles ist einsturzgefährdet und verrottet langsam. Trotzdem konnten wir uns noch das geschäftliche Treiben in dieser alten Minenstadt, die mit fast 4000 Bewohnern eine der größten Oficinas war, gut vorstellen. Humberstone war in den letzten Jahren auch eine recht moderne Salpeterstadt, hatte sie doch, neben Schule und Krankenhaus, sogar ein eigenes Theater und ein öffentliches, aus einem Schiffswrack gebautes Schwimmbad.

Heute wird in Chile nur noch eine einzige Salpetergrube betrieben. Sie befindet sich in Maria Elena und ist die modernste Salpetergrube der Welt. Wie modern hier alles ist, konnten wir am neu gebauten Arbeiterhotel sehen, auf dessen Parkplatz wir mit unserem Wohnmobil willkommen waren. Klimatisierte Bungalows, Sport- und Freizeiteinrichtungen sowie Arbeiterrestaurants - alles vom Feinsten. Leider war der Minenkomplex nicht für Besichtigungen freigegeben.

In Calama war die PR-Arbeit der staatlichen Kupfergesellschaft Codelco wesentlich besser. Vom eigens dafür errichteten Informationszentrum starteten zweimal täglich die Besichtigungstouren nach Chuquicamata, der größten offenen Kupfermine der Welt. Die Stadt Chuquicamata selbst ist heute eine Geisterstadt. Sie wurde bis 2004 vollständig evakuiert, weil die gesundheitlichen Belastungen für die Bewohner zu groß waren. Außerdem brauchte man weiteren Platz für die riesigen Abraumhalden, von denen die Stadt jetzt langsam geschluckt wird. Beeindruckend sind die Daten der Mine, die uns stolz erläutert wurden. Die Kupfermine gilt als die größte von Menschen geschaffene Grube, aus der jeden Tag 180.000 t Gestein abgebaut werden. Mit einem elektrolytischen Verfahren werden daraus 2.500 t hochprozentiges Kupfer gewonnen – rund 600.000 t im Jahr. Eindrucksvoll waren auch die großen Muldenkipper, übrigens aus deutscher Produktion. 107 dieser Monster sind derzeit im Einsatz. 400 t Gestein kann so ein Truck laden und auf seinen 4 m hohen Rädern aus der Mine transportieren. Was nicht zur Sprache kam, waren die massive Zerstörung der Umwelt und die gesundheitlichen Auswirkungen auf die Minenarbeiter. Ihre überdurchschnittlich gute Bezahlung macht das gesundheitliche Risiko nicht wett, viele erkranken an Staublunge, Asthma oder Krebs. Der allgegenwärtige Feinstaub und das mit Arsen und weiteren giftigen Chemikalien verunreinigte Grundwasser sind der Preis, der für die lukrative Ausbeutung des größten Kupfervorkommens der Welt bezahlt wird.

24.07.2011 – San Pedro de Atacama – Wüstendorf und Tourismuszentrum

Obwohl wir uns schon seit Arica in der Atacamawüste befanden, hatten wir mit San Pedro de Atacama den Mittelpunkt der Wüste, oder zumindest das touristische Zentrum der Atacama, erreicht. Hier ist die Wüste am eindrucksvollsten und auch am trockensten. Im Jahresmittel fällt hier nur 1/50-stel der Regenmenge, die im Death Valley (USA) gemessen wird. Das heißt, die Niederschlagsmenge ist praktisch gleich null. In diesem trockenen Gebiet kann der Mensch nur in den wenigen Oasen überleben. San Pedro ist so eine Oase, mitten in der Wüste. Hier siedelten schon vor circa 11.000 Jahren die ersten Atacameños, die Ureinwohner der Atacamawüste. Sie betrieben bescheidene Landwirtschaft und Tierzucht.

Auch heute noch besteht das Dorf vorwiegend aus einstöckigen Lehmhäusern und staubigen unbefestigten Straßen - aber der Tourismusboom der letzten Jahre hat dafür gesorgt, dass sich in fast jedem dieser Lehmhäuser ein Restaurant, ein kleines Hotel oder eine Reiseagentur befindet. Aus dem verschlafenen Andendorf ist ein touristisches Standardziel geworden, welches auf keiner Reiseroute im Norden Chiles fehlen darf. Die schnelle Entwicklung hatte auch ihre unangenehmen Nebenwirkungen. Hohe Preise, zwielichtige Touranbieter und Touristennepp gehörten hier zum Alltag. Nach zwei Tagen in San Pedro hatten wir genug davon. Die wundervolle Umgebung der Stadt war unser nächstes Ziel, und anders als die vielen anderen Touristen mussten wir keine überteuerten Touren buchen, sondern konnten mit unserem Hobby alles selbst anfahren. Das Valle de la Luna beeindruckte uns mit den in Jahrmillionen durch Erosion geschaffenen Figuren aus Sand, Salz und Lehm. Am Salar de Atacama verbrachten wir einen ganzen Tag, beobachteten Flamingos, die in der Lagune Chaxa im flachen Wasser vor der eindrucksvollen Bergkulisse standen, und erlebten hier den wohl schönsten Sonnenuntergang unserer bisherigen Reise. Die Lagune verfärbte sich dabei in fast schon kitschig wirkenden Farben und die Flamingos stellten sich dann nochmals für unsere Fotos auf.

Die Nächte in der Wüste waren eine weitere neue Erfahrung für uns. Bitterkalt, aber so klar, dass wir uns vom Anblick des Sternenhimmels kaum losreißen konnten. Nach einem Bad in der heißen Thermalquelle in Puritama wollten wir noch zur Lagune Miscanti fahren. Unser Reiseführer beschreibt diese Gegend, hoch oben im chilenisch-argentinischen Grenzgebiet, als sehr sehenswert. Die Straße, auf den ersten 80 km bis Socaire noch geteert, führte zwischen der Andenkette und dem Salar de Atacama stetig bergauf. Dann ging es auf einer Schotterpiste weiter. Wir quälten uns, teilweise nur in Schrittgeschwindigkeit, immer höher in die Anden. Nur noch 10 km trennten uns von der landschaftlich so schönen Lagune, da machte fast meterhoher Schnee auf der Piste die Weiterfahrt unmöglich. Etwas enttäuscht mussten wir, so kurz vor unserem Ziel, umkehren. Mit einer organisierten Tour wäre so etwas sicher nicht passiert. Andererseits liegt gerade in dieser Unberechenbarkeit und Spontanität der Reiz des individuellen Reisens, und so haben wir auf der Rückfahrt noch das kleine Städtchen Toconao kennengelernt und eine weitere Nacht in der Stille der Atacamawüste verbracht.

09.08.2011 – An der chilenischen Küste südwärts

Unserer weitere Fahrt in Richtung Zentralchile führte uns wieder an die Pazifikküste, die wir bei Antofagasta, der größten Stadt des Nordens, erreichten. Die Stadt selbst hat keine großen Sehenswürdigkeiten, aber das 16 km nördlich der Stadt gelegene Felsentor "La Portada“, das Wahrzeichen von Antofagasta, war einen Besuch wert. Der hoch aus dem Wasser aufragende Fels ist in dieser Form einmalig in Chile. Es war aber vor allem ein geeigneter Platz, um Vögel und Seelöwen zu beobachten. Sogar einige Delfine konnten wir nahe dem Ufer sehen. Einzig die hier normalerweise lebenden Humboldtpinguine zeigten sich nicht.

Die Nacht verbrachten wir auf dem Parkplatz, direkt über dem Felsentor und der Brandung des Pazifiks. Am nächsten Morgen starteten wir recht früh, aber so richtig weit sind wir nicht gekommen. Kurz hinter der Stadt war die Panamericana, die an dieser Stelle einzige Nord-Süd-Verbindung, durch große Trucks versperrt. Fast einen ganzen Tag war diese wichtige Straßenverbindung lahmgelegt, um Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen durchzusetzen. Die meisten Autofahrer nahmen den Protest gelassen hin und selbst die Polizei verhielt sich solidarisch mit den Fahrern. Am späten Abend wurde die Straße wieder freigegeben und wir kamen mit dem letzten Tageslicht gerade noch bis zur nächsten Tankstelle, an der wir übernachteten.

An der Pazifikküste im Norden Chiles gibt es herrliche einsame Strände, beschauliche Fischerdörfer und schöne Ferienorte. Wir bummelten an der Küste südwärts und machten Pause, wo uns gefiel. Dieses geruhsame Reisen hatte zwei Gründe. Zum einen merkten wir sehr deutlich die Klima- und Temperaturänderung in Richtung Süden, hier auf der Südhalbkugel waren wir noch mitten im Winter, und wir wollten das schöne Wetter noch etwas genießen. Der zweite Grund war, dass wir noch genügend Zeit bis zum 3. September hatten, denn für diesen Tag erwarteten wir unseren Sohn Felix in Santiago.

Die Stellmöglichkeiten für unser Wohnmobil waren so gut, dass wir mittlerweile recht ausgefallener Ansprüche entwickelt hatten. Eine Strandpromenade oder wenigstens eine ruhige Uferstraße sollte es schon sein. In Taltal, einem kleinen verschlafenen Fischerort, fühlten wir uns schnell wohl. Sonniges Wetter, schöne Strände und jeden Tag frischen Fisch zum Abendessen. Daran konnten wir uns gewöhnen.

Noch besser hatten wir es dann in Bahia Inglesa getroffen. Der beliebte Ferienort wirkte außerhalb der Sommersaison, die hier in Chile von Mitte Dezember bis Mitte März dauert, fast wie ausgestorben. Die Restaurants kämpften mit Rabatten um die wenigen Gäste und der Strand gehörte uns fast allein. Dabei waren die Temperaturen schon sehr angenehm. Auf über 20 °C stieg das Thermometer tagsüber, nur das Wasser war uns noch zu kalt für ein Bad. Wir hatten unseren Stellplatz direkt an der Promenade, vor uns der weiße Muschelstrand und das türkisblaue Meer, hinter uns das Luxushotel Rocas de Bahia, welches uns sogar freundlicherweise ihren WiFi-Internetzugang zur Verfügung stellte. Auch sonst waren wir gut versorgt. Früh kam der Bäcker mit frischen Brötchen ans Wohnmobil und am Nachmittag brachten die Fischer ihren fangfrischen Fisch. Es waren wundervolle Tage. Die Menschen waren aufgeschlossen, sie interessierten sich für uns, unsere Reise und unser Wohnmobil. Sogar ein Team des chilenischen Fernsehens wurde auf uns aufmerksam. Wir wurden interviewt, alles wurde gefilmt und noch am selben Tag lief der Beitrag über unsere Reise im Vorabendprogramm. Wir hätten niemals für möglich gehalten, wie viele Menschen diesen TV-Beitrag gesehen und uns wieder erkannt haben. Vom Familienfoto vor unserem Hobby bis zum hemmungslosen Anklopfen zu unpassender Zeit reichte das Spektrum, welches wir aufgrund unserer temporären Bekanntheit ertragen mussten. „Ich glaube, jetzt wollen sie uns aus dem Paradies vertreiben“ sagte ich zu Petra und schon bald waren wir wieder auf der Panamericana und rollten weiter südwärts.

Samstag, 6. August 2011

26.04.2011 – 24.06.2011: Bolivien – landschaftliche Schönheit in atemberaubender Höhe


26.04.2011 – Copacabana und die Isla del Sol

Das klang ja alles sehr beunruhigend. In Bolivien wurde bis vor einigen Tagen gestreikt. In den Medien wurde von Übergriffen auf Zivilisten und Ausländer berichtet und viele Reisende waren froh, dass sie aus dem Land endlich rausgekommen sind. Und wir mussten unbedingt rein - nach Bolivien. Katharina hatte ihren Rückflug von La Paz gebucht und so hatten wir keine Wahl.

Einige Tage später waren wir froh in Bolivien zu sein, denn die Streiks wurden nach dem Einlenken der Regierung beendet und bis zu den nächsten landesweiten Protesten waren wir erst einmal sicher. Anders in Peru. Das, was wir noch als halbherzige Straßensperren erlebt hatten entwickelte sich zu einem handfesten Aufstand in der Region um Puño. Die Grenze zwischen Peru und Bolivien war für mehrere Wochen geschlossen, sogar die Flughäfen wurden blockiert. In Puño und Arequipa gab es Straßenschlachten, öffentliche Gebäude wurden angezündet und viele Unbeteiligte wurden verletzt. Also war Bolivien im Moment das sicherere Land.

Unmittelbar hinter der Grenze liegt das kleine Pilgerstädtchen Copacabana. Der Ort selbst ist nicht gerade schön, aber seine bevorzugte Lage am Titicacasee macht ihn zu einem gefragten Touristenort. Restaurants, Kneipen, Geschäfte und unzählige Reiseagenturen säumen die Straßen und im Stimmengewirr der Touristen hörten wir fast nur Englisch.

Bei unserem ersten Stadtspaziergang sahen wir aufwendig, mit Blumen, Girlanden und Blütenblättern geschmückte Autos in der Stadt, und am nächsten Tag erlebten wir, was es damit auf sich hatte. Der Franziskanerpater Bernardino segnete mehrmals wöchentlich Autos. Das ist auch in Bolivien ein Novum und so kamen die Gläubigen mit ihren neuen oder alt gekauften Autos hierher, um den Segen des Paters zu empfangen. Das Ganze wurde von ohrenbetäubenden Böllerschüssen begleitet. Die gesegneten Autos waren dann gegen Pannen und vor allem gegen Unfälle gewappnet, sodass der Fahrtstil ruhig etwas riskanter sein konnte.

Am nächsten Morgen fuhren wir mit einem Ausflugsboot zur Isla del Sol. Um Basko nicht so lange allein zu lassen, hatten wir uns für eine Halbtagestour entschieden. Leider war die Zeit viel zu kurz für diese beeindruckende Insel. Nach dem anstrengenden Aufstieg über die Inka-Treppe zum höchsten Punkt der Insel hatten wir den wohl schönsten Blick auf den tiefblauen See, auf die Isla del Luna und das gegenüberliegende, von vergletscherten Bergen gesäumte Ufer. Wie gern hätten wir, mit etwas mehr Zeit, eine Wanderung auf dem Kammweg zur nordwestlichen Seite der Insel unternommen. Nicht nur die reizvolle Landschaft, sondern auch die historische Bedeutung wären ausreichend Gründe dafür gewesen. Nach alter Inka-Legende wurde hier der erste Inka Manco Capac und seine Frau geboren und auch die Sonne sei hier entstanden und zum Himmel aufgestiegen. Damit waren die Insel als Ursprung des Inka-Imperiums und ebenso der ganze Titicacasee für die nachfolgenden Inka-Generationen heilig. Früher hieß die Isla del Sol übrigens Titicachi, wovon der Titicacasee seinen Namen ableitete.

Nach so viel Natur und Historie haben wir uns dann am Abend ganz irdischen Genüssen hingegeben. Die frischen Titicacasee-Forellen waren wirklich ein Genuss und der bolivianische Weißwein passte recht gut dazu.

29.04.2011 – La Paz - eine atemberaubende Stadt

Die Strecke von Copacabana nach La Paz war nur 150 km lang. Trotzdem kamen wir erst am späten Nachmittag in El Alto, dem über 4200 m hoch gelegenen Vorort der bolivianischen Andenmetropole an. Ein Grund war die landschaftliche Schönheit der Strecke, die uns immer wieder zu Pausen und Fotostopps veranlasste. Ein weiterer, die wenig vertrauenswürdige Fährverbindung über eine schmale Stelle des Titicacasees. „Sollen wir das wirklich riskieren?“ Wir beobachteten erst einmal den Fährbetrieb, ehe wir uns entschieden, das Wagnis einzugehen. Die altersschwache Fährplattform hatte keine Bohle zu viel an Deck. Sie knackte an allen Ecken, als wir mit dem Hobby langsam darauf rollten. Der Fährmann startete den kleinen Außenbordmotor, der die Plattform langsam vom Ufer wegbewegte. Jetzt brachte der Seitenwind die Fähre mächtig ins Schwanken und unser Hobby schaukelte sich bedenklich auf. Das gelangweilte Gesicht des Fährmannes gab mir etwas Zuversicht, dass wir in keiner kritischen Situation waren - aber was hatte ich auch erwartet? Es war ja nicht sein Wohnmobil, welches vielleicht über Bord gehen würde. Nach 30 bangen Minuten legten wir am gegenüberliegenden Ufer an. Alles war gut gegangen und uns fiel ein Stein vom Herzen.

In La Paz angekommen haben wir uns erst einmal hoffnungslos verfahren. Die Stadt lag direkt vor uns, aber unser Navigationssystem meinte, wir sollten nach links abbiegen und einen großen Bogen fahren. Das konnte ja nur ein Fehler des Systems sein. Also weiter geradeaus. Nach wenigen Kilometern befanden wir uns in einem hoffnungslos verstopften Vorort. Busse, Taxis, Mopeds, Straßenhändler und Fußgänger, alles drängte sich auf der schmalen Straße. Am Straßenrand waren Marktstände mit gefährlich auf die Fahrbahn ragenden Überdachungen aufgereiht. Langsam wurde ich nervös. Nach über einer Stunde im Verkehrschaos hatten wir uns bis zu unserem Ausgangspunkt zurück gequält und die großzügig um die Stadt geführte Stadtautobahn, erreicht. Wir rollten talwärts, fast 1000 m tiefer lag das Zentrum der Stadt. Die Häuser schmiegten sich an die steilen Berghänge und boten eine faszinierende Umrahmung für die im Tal liegenden modernen Stadtviertel mit ihren Hochhäusern und dem über der Stadt thronenden, schneebedeckten, 6439 m hohen Illimani.

Ich vertraute jetzt meinem Navigationssystem und trotzdem gab es noch einige schwierige Verkehrssituationen zu bewältigen, ehe wir endlich am Schweizer Hotel Oberland ankamen. Die Straßenführung in La Paz ist, bedingt durch das extrem bergische Gelände, sehr eigenwillig. Die engen Straßen winden sich mit einem extremen Anstieg an den Berghängen in die Höhe. Da viele Kleinbusse oder älterer Autos nicht mehr loskommen würden, fuhren sie an Kreuzungen einfach durch. Ein Wunder, dass so wenig Unfälle passierten. Für uns war La Paz bisher die Stadt mit den kompliziertesten Verkehrsbedingungen.

Im Hotel Oberland waren dann die Ärgernisse auf La Paz Straßen schnell vergessen. Im Schweizer Restaurant gab es leckeres Käse-Fondue, hausgemachtes Schwarzbier und eine tolle Atmosphäre am Kamin. So verwöhnt wurden wir schon lange nicht mehr.

Am nächsten Tag stand die Stadtbesichtigung auf unserem Programm. Die Innenstadt war laut, hektisch und nicht sehr sauber. Es wurde viel gebaut und die Luft, die schon unter normalen Bedingungen fast zu dünn zum Atmen ist, war staubig und kratzte im Hals. Hinter der Plaza San Francisco beginnt die Touristenmeile mit unzähligen kleinen Läden, Restaurants, Webereien und kunstgewerblichen Geschäften. Uns interessierte aber besonders eine kleine Nebenstraße, die Linares. Hier befindet sich der berühmte Hexemarkt, wo wir Ausgefallenes und Kurioses fanden. Es gab haufenweise Kräuter, Heilgetränke und vor allem getrocknete Lamaembryos, welche die Einheimischen unter den Schwellen ihrer Häuser und Wohnungen vergraben und sich dadurch Glück und Wohlstand erhoffen. Die zentrale Plaza Mendoza war dann endlich ein Ort zum Ausruhen und Durchatmen. Hier stehen die Kathedrale, der Regierungspalast und das Parlamentsgebäude. Alles war gepflegt und strahlte Ruhe und Gelassenheit aus.

Über abschüssige Straßenschluchten ließen wir uns dann immer weiter bergab treiben und kamen so in die besseren Wohngebiete. Hier, fast 1000 m tiefer als El Alto gelegen, fiel uns das Atmen leichter, die Luft war relativ sauber und die Temperaturen angenehmer. Nicht ohne Grund wohnt hier die Oberschicht von La Paz.

Die letzten zwei gemeinsamen Tage vergingen viel zu schnell und dann war er schon da, der Abschied von unserer Katharina. Wir wollten nicht mit dem Wohnmobil zum Flughafen fahren und bestellten über die Hotelrezeption ein Taxi. Nach einem schnellen Abschied fuhr unsere Kathi vom Hotelhof und erst 8 Stunden später erhielten wir die erste Nachricht von ihr. Obwohl wir fest vereinbart hatten, dass sie uns vom Flughafen eine SMS sendet, blieb unser Handy stumm. Unsere Anrufe gingen ins Leere, und obwohl wir nicht zu übersteigerter Ängstlichkeit neigen, machten wir uns zunehmend Sorgen. Mittlerweile müsste sie schon in Lima gelandet sein, aber keine Nachricht erreichte uns. Langsam kamen uns die unmöglichsten Gedanken. Was hatten wir nicht alles gelesen von falschen Taxifahrern, Blitzentführungen und Missbrauch. Meine Anrufe bei der Fluggesellschaft waren erfolglos, die immer wieder gesendeten SMS an Kathi blieben unbeantwortet. Der nächste Schritt wäre ein Hilferuf bei der deutschen Botschaft gewesen - und dann kam endlich der erlösende Anruf unserer Tochter. Völlig überrascht fragte sie uns, was denn los sei und ob wir ihre zwei SMS nicht bekommen hätten. Ein simples technisches Problem im Mobilfunknetz hatte uns, und mit uns die ganze Travellergemeinschaft im Oberland, in Atem gehalten.

15.05.2011 – Sucre - gut für eine Reisepause

Nach dem straffen Programm der letzten Wochen brauchten wir wieder mal eine kleine Auszeit. Vor allem mussten wir Ordnung in unsere Fotos bringen und die letzten zwei Reiseberichte schreiben. Sucre schien dafür gut geeignet und Rita und Lothars Tipp erwies sich als absolut passend. Sie gaben uns die Adresse einer netten Familie, die uns ihren Garten als Stellplatz zur Verfügung stellte. Es war alles vorhanden, von der warmen Dusche bis zum WiFi-Internet. Dazu kam, dass Sucre ein sehr angenehmes Klima besitzt. In nur 2700 m Höhe gelegen war es tagsüber frühlingshaft warm und nachts nicht zu kalt. Dies Sonne schien wirklich jeden Tag und der stahlblaue Himmel war völlig wolkenlos. Die schöne Altstadt mit ihren weißen Häusern, der gepflegten Plaza und dem großen Markt war nicht weit entfernt und Felicidad, Alberto und ihr Sohn Miguel lasen uns fast jeden Wunsch von den Lippen ab. So konnten wir es aushalten.

Nach einigen Tagen kamen dann noch Isabelle und André, die zwei lustigen Franzosen, die uns schon seit Cusco „verfolgten“, nach Sucre. Seitdem waren auch die Abende nicht mehr so einsam.

In Sucre ist man stolz darauf, in der Hauptstadt von Bolivien zu leben, obwohl viele Ausländer denken, die Hauptstadt wäre La Paz. Die Menschen in Sucre sagten selbstbewusst, La Paz ist ja „nur der Regierungssitz“. Aber viel war von der Hauptstadt wirklich nicht zu erkennen, einzig der Oberste Gerichtshof ist in Sucre noch ansässig. Dafür ist es hier ruhig und beschaulich - einfach lebenswert.

Natürlich machten die Bolivianer auch in Sucre von ihrem Recht Gebrauch, gegen alles und jeden zu demonstrieren. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht ein kleiner Protestzug auf der Plaza organisiert wurde, der sich dann einige Straßen weiter wieder friedlich auflöste. Die Demokratie von der Straße hat in Bolivien eine lange Tradition und durch den Volkswillen oder auch Volkszorn wurde schon so mancher Präsident gestürzt. Seit der Unabhängigkeit 1825 gab es über 200 gewaltsame Machtwechsel - das ist einsamer Weltrekord.

Die größte Manifestation erlebten wir am 25. Mai und den folgenden Tagen. Diesmal war es aber keine Demonstration gegen - sondern für die Regierung. Der 25. Mai wird in Sucre als Beginn der Unabhängigkeitsbewegung vor nunmehr 202 Jahren gefeiert. Stundenlang marschierten die Menschen an der Casa de la Libertad vorbei. Der Präsident Boliviens Evo Morales war in der Stadt und kam für einige Minuten auf den Balkon. Auch ihm schien der Umzug, der einfach kein Ende nehmen wollte, zu lange zu dauern. Ich wurde etwas an die inszenierten Umzüge in der ehemaligen DDR erinnert, aber hier schienen die Menschen mit Freude und Enthusiasmus dabei zu sein. Vor allem die vielen Indigenas fielen in dem Demonstrationszug auf und unzählige Marschkapellen versuchten sich gegenseitig zu überbieten. Über allem dröhnte die unermüdliche Stimme des Kommentators, der jede neue Gruppe mit großen Worten ankündigte und ihre Verbundenheit mit der Regierung lobte.

An den nächsten zwei Tagen hörten wir immer wieder Marschmusik aus dem Stadtzentrum, die Show war noch lange nicht zu Ende. Am Abend flanierten die stolzen Bürger dann auf der Plaza oder vergnügten sich bei öffentlichen Konzerten. Sogar eine Rallye-Meisterschaft gab es am Sonntag und zur Feier des Tages wurde Paderborner Bier ausgeschenkt. Trotz der offensichtlichen Inszenierung dieses Spektakels hatten wir den Eindruck, dass die Bolivianer diesen Feiertag mit Hingabe begehen. Einen beispiellosen Nationalstolz haben sie sowieso.

Nach den fünf heißen Tagen zogen wieder Ruhe und Ordnung in Sucre ein und wir konnten uns den weiteren Sehenswürdigkeiten der Stadt und ihrer Umgebung widmen. In Sucre befindet sich die 1628 gegründete älteste Universität Südamerikas, im Turm der Kirche San Francisco hängt noch heute die Freiheitsglocke, die am 15. Mai 1825 die Unabhängigkeitskämpfer an die Waffen rief, und in der Casa de la Libertad wurde am 6. August 1825 die Unabhängigkeit Bolivien erklärt. Wir bewegten uns auf geschichtsträchtigen Boden und noch einige Jahre älter ist der sensationelle Fund, den man 1994 in der staatlichen Zementgrube am Stadtrand machte. Über 3000 Fußabdrücke von etwa 300 verschiedenen Dinosauriern wurden hier entdeckt. Die längste Spur ist 350 m lang. Es sind die größten und ältesten Fußspuren der Welt. Wir konnten die drei zackigen Riesenzehen vom Tyrannosaurus Rex und die Abdrücke vom Brontosaurus erkennen, die hier herumgewandert sind. Die ehemals ebene Platte wurde über Jahrmillionen nach oben gefaltete und steht heute senkrecht gegenüber der eigens dafür errichteten Besucherplattform. Durch Erosion treten selbst heute noch neue Spuren zutage, während man mit einem Kunststoffüberzug versucht, die bestehenden zu schützen. Es ist wirklich eine Weltattraktion, die in den letzten Jahren noch durch einen Saurier-Themenpark ergänzt wurde.

Von Sucre aus unternahmen wir auch einen mehrtägigen Ausflug zum Salar Uyuni. Isabelle und André kümmerten sich in dieser Zeit um unseren Basko.

01.06.2011 – Salar Uyuni – die größte Salzwüste der Welt

Um 7:00 Uhr früh standen wir am Terminal und warteten auf unseren Bus nach Uyuni. Was dann angerollt kam, hatte wenig mit einem bequemen Reisebus zu tun, aber wir haben es irgendwie überstanden. Nach 11 Stunden stiegen wir wie gerädert in Uyuni aus und waren froh, dass wir diese Buckelpiste nicht mit unserem Hobby gefahren sind.

Uyuni, 1889 aus strategischen Gründen vom damaligen Präsidenten Arce gegründet, spielte im Chacokrieg gegen Paraguay eine wichtige Rolle. Heute wird in dieser trostlosen Stadt nur noch um Touristen gekämpft. Uyuni ist der Ausgangspunkt für Touren zum gleichnamigen Salar und der einmaligen Lagunenlandschaft im Südwesten Boliviens.

Nach dem Einchecken in unser Hotel gingen wir erst einmal auf „Nahrungssuche“. Die Stadt wirkte schon am frühen Abend wie ausgestorben, trostlos und kalt. In einem Restaurant mit „Fireplace“, wie die auffällige Werbung an der Tür versprach, hatten wir dann einen recht netten Abend. Das Lokal füllte sich langsam und die Gespräche drehten sich ausschließlich um den morgigen Start der Jeeptouren. Anfangs wunderten wir uns noch, dass alle zufällig gerade am nächsten Tag starten werden, aber wer sollte auch länger als unbedingt nötig in diesem Ort verweilen. In der Nacht leisteten wir uns den Luxus, unseren Ölradiator durchlaufen zu lassen. "Noch einmal einigermaßen warm schlafen" sagten wir uns. „Die nächsten Nächte werden frostig sein.“

Pünktlich um 10:00 Uhr stand am nächsten Morgen "unser“ Landcruiser vor der Tür. Noch zwei Stopps und unsere kleine Gruppe war komplett. Zwei Franzosen, Vater und Sohn, zwei junge deutsche Frauen und wir. Der Fahrer fungierte gleichzeitig als Reiseleiter und Koch. Erster Stopp war der berühmte Cementerio de Trenes, der Eisenbahnfriedhof. Hier rosteten unzählige Dampfloks und Eisenbahnwaggons vor sich hin. Mit dem Aufkommen der Dieselloks war die Zeit der alten Dampfrösser abgelaufen. Eisenbahnfriedhof klingt nach würdevollem Abschied nehmen, aber die Loks standen inmitten von Abfall und rostigen Teilen wie auf einem Schrottplatz oder einer Müllkippe.

Einige Kilometer weiter sahen wir sie, blendend weiß, vor uns liegen, die riesige Salzwüste Uyuni. Mit 160 km Länge und 135 km Breite ist sie die größte Salzpfanne der Erde – siebzehnmal größer als der Bodensee. Die vielen Jeeps, die mit uns gemeinsam gestartet waren, verteilten sich auf der riesigen Fläche - und dann war es ganz still. Der blaue Himmel stand in einem intensiven Kontrast zu der weißen Salzfläche, die Sonne verstärkte die Wirkung nochmals und am Horizont ging die Salzwüste in einen schmalen Wolkenstreifen über. Es war, wie an einem sonnigen Wintertag mit Neuschnee, nur dass es hier keine Bäume, keine Häuser, keinerlei räumliche Begrenzung gab. Es war irreal - absolut fantastisch. Vielleicht hatte es auch die Wirkung einer Droge, denn plötzlich fingen alle an, die fantasievollsten Fotos zu schießen. Die endlose Weite ermöglichte es, dass man Bilder machen konnte, die sonst nur durch Fotomontagen möglich sind.

Auf der Weiterfahrt kamen wir an aufgetürmten Salzbergen vorbei. Das Salz musste nach den Regenfällen erst abtrocknen, ehe es gemahlen, gereinigt und dann verkauft werden konnte. Gerade mal einen Boliviano, das sind 10 Eurocent, bekommt ein Arbeiter für sechs Kilo Salz - wahrlich ein Hungerlohn.

Die Insel Pescado wirkte auf uns wie eine Oase in der Wüste. Hier wachsen bis zu 12 m hohe Kakteen, zum Teil sind diese weit über 1000 Jahre alt. Vom höchsten Punkt der Insel hatten wir eine tolle Rundumsicht bis zu den schneebedeckten Vulkanbergen im Süden. Wir unterlagen der Täuschung, uns auf einer richtigen, vom Wasser umgebenen Insel zu befinden. Aber auch hier - alles nur Salz.

Das änderte sich dann auf unserer Weiterfahrt. Der westliche Teil des Salar Uyuni stand bis zu 50 cm unter Wasser. Der Regen der letzten Monate blieb auf dem abflusslosen Salar so lange stehen, bis das Wasser vollständig verdunstet war. So entstand auch schon vor vielen Millionen Jahren dieses Naturwunder, als das abflusslose Anden-Binnenmeer Lago Minchíns austrocknete und nichts als Salz zurückblieb. Unser Fahrer brauchte seine ganze Aufmerksamkeit, um nicht in den Ojos einzubrechen, das sind instabile Stellen in der Salzkruste, die durch Salzquellen und unterirdische Wasserläufe entstehen. Wie ein Boot durchpflügte unser Landcruiser den Salar, der hier doch mehr einem See als einer Wüste ähnelte. Die untergehende Sonne spiegelte sich zwischen zerrissenen Wolken im Wasser und erzeugte bei uns einen außergewöhnlich stimmungsvollen Tagesausklang.

Die nächsten zwei Tage erlebten wir die Naturschönheiten im tiefsten Südwesten Boliviens. In diesem entlegenen Teil des Landes gibt es keine Straßen, nur raue Offroad-Pisten, die auch ebensolche Fahrzeuge erfordern. Die surreale Landschaft, hügelig und fast baumlos, hatte ihren besonderen Reiz. An vielen Stellen standen steil aufragende, durch Erosion geformte Felsen, in denen wir mit etwas Fantasie Figuren und Tiere erkannten. In der Nahe der chilenischen Grenze säumten dann schneebedeckte Berge und Vulkane, die meisten über 6000 m hoch, den Horizont. Wir sahen unzählige Lagunen, deren Wasser je nach Tageszeit und Temperatur eine grüne oder rote Farbe annahm. Der Grund dafür ist das pflanzliche Plankton, in Verbindung mit einem hohen Blei- Kalzium- und Schwefelgehalt. Vacuñas und Flamingos fühlten sich hier wohl.

Dass das ganze Andengebiet vulkanisch aktiv ist, konnten wir hier ein weiteres Mal beobachten. Das 5000 m hoch gelegene Geysirbecken mit seinen brodelnden Schlammpfützen und den unter hohem Druck austretenden Schwefeldämpfen machte uns schon fast etwas Angst. Die Erde schien zu vibrieren und der Überdruck konnte, wie bei einem Wasserkessel, nur an bestimmten Stellen entweichen. Alles schien instabil, aber es gab keinerlei Absperrungen. Jeder konnte direkt zwischen den heißen blubbernden Stellen umherlaufen und, die Warnungen unserer Fahrer ignorierend, sich in Lebensgefahr begeben. Irgendwie waren wir froh, als wir diesen Ort verließen und den angenehmen Teil dieser vulkanisch aktiven Gegend erreichten. Draußen Frostgrade und im heißen Naturpool angenehme 34 °C – es war ein Erlebnis ganz besonderer Art.

Auf der Rückfahrt sahen wir an einem Abhang drei neue Kreuze stehen und unser Fahrer bekreuzigte sich. Dann erzählte er von dem Jeep, der vor einem Monat mit 6 Touristen über die Piste geschossen und in den Abgrund gestürzt sei. Leider kommt so etwas immer wieder vor. Die Fahrer sind oftmals übermüdet, manchmal betrunken oder sie stehen unter Drogen. Wir waren froh, dass wir einen recht guten Fahrer hatten, der uns sehr sicher und ohne ein Risiko einzugehen drei Tage durch eine der schönsten Gegenden Boliviens chauffiert hat. Wir werden diesen Trip nicht so schnell vergessen.

17.06.2011 – Potosí - die einst reichste Stadt der Welt

Potosí - wer kennt schon Potosí? Dabei war es einmal die reichste und größte Stadt der Welt. So reich, dass anlässlich der Corpus-Christi-Feiern im Jahre 1658 die Pflastersteine der Straßen entfernt und durch Silberbarren ersetzt wurden und so groß, dass sich damals weder Paris, noch Madrid oder Rom mit Potosí messen konnte. Der Grund für diesen Reichtum und die Größe der Stadt war ein gigantisches Silbervorkommen, welches im Cerro Rico, dem reichen Berg, nahe der Stadt von den Spaniern entdeckt und ausgebeutet wurde. Die sagenhafte Menge von 460.000 Tonnen Silber wurde bis heute aus diesem Berg gefördert. Es war das größte Silbervorkommen weltweit. Aber mit dem Rückgang der Förderung und dem Verfall des Silberpreises verlor auch die Stadt an Bedeutung. Einen Rekord kann sie aber heute noch für sich verbuchen. Sie liegt auf über 4000 m und ist damit die höchst gelegene Großstadt der Welt.

Wir waren klimatisch von Sucre verwöhnt und erlebten hier in Potosí wieder hautnah den bolivianischen Winter. Die Luft war dünn, wir hatten Atemprobleme und schlotterten vor Kälte. Gut, dass wir einen so angenehmen Stellplatz bei der Hacienda Cayara gefunden hatten. Das Haus aus dem Jahre 1545 ist mehr Museum als Hotel. Eine unglaubliche Anzahl an historischen Rüstungen, Waffen, Werkzeugen und Haushaltsgegenständen befinden sich auf der Hacienda, vieles davon weit über 400 Jahre alt. Die Bibliothek ist ein Fundus für Historiker, das älteste Buch stammt aus der Gründungszeit der Hacienda, und im sich anschließenden Kaminzimmer verbrachten wir angenehme Abende. Arthuro, der Manager des Hotels und ein direkter Nachkomme des früheren Besitzers, ließ es sich nicht nehmen, uns alles zu zeigen und genau zu erklären. Fast einen ganzen Tag waren wir gemeinsam im Haus unterwegs und kamen aus dem Staunen kaum heraus, welche historischen Werte hier noch in Privatbesitz sind.

In Potosí selbst war kaum etwas so gut erhalten und über die Zeit bewahrt worden. An allen Ecken der Stadt sah man noch den früheren Reichtum, aber auch den zunehmenden Verfall. Potosí wächst und schrumpft mit dem Silberpreis. In den letzten 10 Jahren ist die Bevölkerung um mehrere 10.000 Bewohner angewachsen. Die schnell gebauten primitiven Behausungen am Stadtrand zeugen von dem Boom der letzten Jahre. Der hohe Silberpreis machte den Abbau am Cerro Rico wieder lukrativ. Der Berg, innen durchlöchert wie ein Schweizer Käse, hat mittlerweile mehr als 400 Mineneingänge. Einige wenige werden heute noch oder wieder genutzt, wobei die Bergleute unter extremen Bedingungen, betäubt durch Kokablätter und Alkohol, schuften und oftmals nicht älter als vierzig Jahre werden. In der Stadt brummte derweil der Minentourismus. Für wenige Bolivianos konnte man eine aktive Mine besuchen und sich dem Schockprogramm unterziehen. Den Minenarbeitern werden kleine Geschenke wie Kokablätter, hochprozentiger Alkohol und Dynamit, welches hier frei verkäuflich ist, mitgenommen. Anfangs wollten wir eine solche Tour buchen, haben uns dann aber gegen diese Form des Sensationstourismus entschieden.

Potosí hatte auch ohne Minentouren einiges zu bieten. Die Kathedrale wurde mit hohem Aufwand restauriert und stand bei unserer Besichtigung kurz vor der Fertigstellung und in der Casa de Moneda, der königlich spanischen Münze, konnten wir deren Entwicklung zur wichtigsten Münzprägewerkstatt Spaniens nachvollziehen und die wuchtigen, in Deutschland gebauten Prägemaschinen besichtigen.

Eine interessante Erfahrung machten wir, ähnlich wie in Sucre, auf den Straßen von Potosí. Ein karnevalähnlicher Umzug brachte die halbe Stadt zum Schwingen und zeigte eindrucksvoll die Lebensfreude und den Frohsinn der Bewohner.

Auch Gastfreundschaft ist für die Bolivianer sehr wichtig. Für uns war es eine Überraschung, für Arthuro, den Hotelmanager der Hacienda Cayara, geradezu selbstverständlich, uns zu seinem Geburtstag einzuladen. Wir fühlten uns sofort wohl und wurden einbezogen, als gehörten wir zur Familie. Dabei waren wir nur die Gäste vom Parkplatz der Hacienda.

22.06.2011 – Der lange Weg nach Chile

Wir waren wirklich gut auf den Grenzübertritt nach Chile vorbereitet, wussten wir doch, dass die Einfuhr von Obst, Gemüse, Fleisch, Wurst, Milchprodukten, Eiern - eigentlich von fast allen Lebensmitteln und auch von Hundefutter - verboten ist. In den letzten Tagen hatten wir ziemlich alles verbraucht und nichts Neues mehr eingekauft. Nur drei vertrocknete Kartoffeln und eine Zwiebel lagen noch einsam als „Köder“ in unserem Gemüsefach.

Auf der Fahrt zur chilenischen Grenze durchquerten wir den Nationalpark Sajama. Immer höher schraubte sich die Straße in die schneebedeckten Anden. Da es schon später Nachmittag war beschlossen wir, kurz vor der Grenzstation noch eine Nacht auf bolivianische Seite zu schlafen. In dem kleinen, idyllisch zwischen Lagunen und schneebedeckten Vulkanen gelegenen Andendorf Lagunas verbrachten wir eine bitterkalte Frostnacht.

Mit nicht viel mehr als einer Tasse Kaffee im Magen erreichten wir am nächsten Morgen die Grenze. "Gegen Mittag sind wir in Arica und dann kaufen wir richtig ein und holen das Frühstück nach" sagte ich zu Petra. Ich ahnte noch nicht, dass alles ganz anders kommen wird.

Die Grenzformalitäten auf bolivianische Seite waren schnell erledigt. Nach wenigen Minuten hatten wir die Ausreisestempel im Pass und unser Wohnmobil wurde ebenso flott ausgetragen. Auf chilenischer Seite war der Ablauf schon etwas aufwendiger. Wir mussten Einreiseformulare und Erklärungen über die einzuführenden Waren ausfüllen, aber nach 30 Minuten war auch das erledigt. Die Beamten von der chilenischen Gesundheitsbehörde SAG waren dann ziemlich enttäuscht, dass wir keine Taschen oder Koffer hatten, die sie, wie bei den Buspassagieren, in ihrem tollen Röntgengerät überprüfen konnten. Also mussten sie zur Inspektion ins Auto kommen. Wir hatten auf der Einfuhrerklärung die Frage nach Lebensmitteln mit „Ja“ beantwortet, und so durchsuchten sie unsere Küchenschränke und jeder „Fund“ war Anlass zu einer ausgiebigen internen Fachdiskussion. Unsere Mehl durften wir behalten, Zucker und Salz auch, aber ob die Gewürze erlaubt waren, ließ sich nicht so einfach beantworten. Wir haben dann die Diskussion unterbrochen, indem wir unsere Gemüsefach aufzogen und unseren „Köder“, die Zwiebel und die vertrockneten Kartoffeln, zeigten. “Ist das erlaubt?" fragten wir mit gespielter Unwissenheit. Der „Köder“ verfehlte seine Wirkung nicht. Sofort wurden die Kartoffeln und die Zwiebel konfisziert und die Überprüfung war damit abgeschlossen. Mehr beiläufig fragte der Beamte beim Aussteigen nach den Papieren für Basko. Völlig überzeugt davon, dass ja alles ordentlich dokumentiert sei, zeigten wir ihm den europäischen Tierpass mit allen geforderten Eintragungen. "Mehr haben sie nicht?" war die kurze Frage des SAG-Beamten, dann verschwand er mit dem beschlagnahmten Gemüse und dem Tierpass im Büro seines Chefs.

Als er wieder rauskam, machte er ein sehr amtliches Gesicht. Wir könnten mit Basko nicht nach Chile einreisen, weil bestimmte Formalien nicht erfüllt wären. Ein, von der bolivianischen Gesundheitsbehörde SANASAG bestätigtes Tierarzt-Zertifikat sei zwingend erforderlich. Wir waren stinksauer und versuchten diese Entscheidung noch zu beeinflussen, merkten aber bald, dass jede Diskussion zwecklos war. Wir mussten wieder zurück nach Bolivien fahren.

Nach nicht einmal zwei Stunden standen wir wieder am bolivianischen Schlagbaum, hatten einen chilenischen Ausreise- und den bolivianischen Einreisestempel im Pass und mussten nur noch unserem Hobby nach Bolivien importieren. Aber genau hier begann unserer nächstes Problem. Da unser Wohnmobil noch nicht in Chile eingeführt war, wir hatten die Einreiseprozedur ja vorher abgebrochen, konnte er auch nicht nach Bolivien importiert werden. Die Einfuhr eines Autos nach Bolivien, welches aus Bolivien kam, war in den Zollbestimmungen nicht vorgesehen. Mit hungrigen Magen und zunehmend schlechter Laune führte ich unzählige Diskussionen, bis sich dann, wir hatten fast nicht mehr daran geglaubt, am frühen Nachmittag der Schlagbaum hob und wir die Grenze passieren konnten.

Die 350 km bis Oruro, es war die nächstgelegene Stadt, in der wir die erforderlichen Papiere bekommen konnten, fuhren wir an einem Stück durch. Erst kurz vor Mitternacht standen wir am ersten Geldautomaten und wenig später in einem kleinen Supermarkt, um endlich etwas Essbares zu kaufen.

Am nächsten Morgen fuhren wir ganz zeitig zum Tierarzt, um das Gesundheitszertifikat für Basko erstellen zu lassen, aber irgendwie waren wir vom Pech verfolgt. Wir wurden von einem Tierarzt zum nächsten geschickt. Als wir das Zertifikat dann endlich in den Händen hielten war es die Gesundheitsbehörde SANASAG, die alles auf einem anderen Formblatt sehen wollte. Nach zwei Tagen waren wir eine Menge Geld für Taxi, Behörden-und Tierarztgebühren los und mit den Nerven fast am Ende - aber wir hielten endlich das SANASAG-Zertifikat in unseren Händen. Übrigens wollte niemand unseren Basko sehen oder gar untersuchen. Der Tierarzt hat die Daten nur aus unserem Tierpass abgeschrieben und die Gesundheitsbehörde hat dann alles auf ein zweites Formular übertragen. Da soll noch mal jemand auf die deutsche Bürokratie schimpfen. Aber es sollte noch dicker kommen - die Odyssee war noch nicht vorbei. Zu diesem Zeitpunkt waren wir jedoch erst einmal glücklich, das Problem gelöst zu haben. Im Thermalbad Obrajes, nahe Oruro, verbrachten wir den Abend und am nächsten Morgen fuhren wir wieder zur chilenischen Grenze.

Den Grenzübertritt hatten wir ja schon ausreichend geübt, sodass alles sehr schnell ging - nur im Büro der SAG, in welches wir siegessicher eintraten und Baskos neue Papiere auf den Tisch legten, gab es wieder ein Problem. Der junge Chef vom Dienst, ein Vollblutbeamter, prüfte eingehend die Gesundheitszertifikate, schlug dann in vielen Ordnern nach und fand wirklich noch „das Haar in der Suppe“. Es wäre ja so weit alles in Ordnung, aber auf dem Zertifikat müsste noch vermerkt sein, dass Basko frei von Parasiten sei - und dieser Vermerk fehlte.

Ich musste mich zur Ruhe zwingen, es war einfach unglaublich. Anfangs haben wir uns noch in die Lösung des Problems eingebracht, haben vorgeschlagen den Vermerk selbst zu ergänzen oder in der ersten chilenischen Stadt noch mal zum Tierarzt zu gehen und das Formular zur Grenze zu faxen. Dann änderten wir unsere Strategie. Wir sagten uns: „Unser Problem ist auch Euer Problem„, setzten uns bequem auf die Besucherstühle des Chefs und machten deutlich, dass wir hier sitzen bleiben werden, bis er eine Lösung gefunden hat. Zurück nach Bolivien fahren wir nicht! Es vergingen zwei Stunden, in denen der Chef vom Dienst unzählige Telefonate führte, im Internet recherchierte und dicke Akten wälzte. Er wirkte mittlerweile viel nervöser als wir. Uns ging es unterdessen recht gut. Die anderen Mitarbeiter haben uns nett behandelt und uns in der Zwischenzeit gut versorgt. Immer wieder wurden neue „Beutestücke“ in das Büro gebracht, die dann sofort „vernichtet“ wurden. Äpfel, Orangen, Popcorn - so ließ es sich aushalten.

Dass wir dann doch noch an diesem Tag die Grenze passieren konnten, lag weniger an der Einsicht des Chefs, sondern daran, dass er eben ein Vollblut-Beamter war. Genau so verbissen, wie er alle möglichen und unmöglichen Verordnungen buchstabengenau befolgte, so wichtig war ihm auch sein pünktlicher Dienstschluss. Kurz vor dem Schließen der Grenze um 17:00 Uhr kam ihm die „feierabend-„ rettende Idee. Wir mussten ein langes Schriftstück unterzeichnen, in dem wir uns verpflichteten Basko drei Wochen von anderen Hunden fernzuhalten und im Krankheitsfall sofort die SAG zu informieren. So einfach kann die Lösung sein.

Gespannt darauf, was uns in Chile noch so alles erwarten wird, rollten wir über die chilenische Grenze und der untergehenden Sonne entgegen. Ein Schmunzeln konnten wir uns nicht verkneifen.